…nämlich mit einem Buch. Ein Buch, das die Fantasie der Menschen beflügelt, ein Buch welches sie die Realität vergessen lässt. Der sächsische Kleinkriminelle mit unglaublichem Einfallsreichtum verfasste davon nicht nur eines sondern eine unglaubliche Anzahl. Jeder der dessen Werke adaptieren will steht vor derselben Herausforderung: wie kann ich die Menschen für meine Version begeistern und trotzdem dem großen Werk des ursprünglichen Autors gerecht werden? Viele haben sich daran versucht, längst nicht jedem ist es gelungen.
Wer dieses Vorhaben für sich in Anspruch nehmen kann, diesen schwierigen Spagat in besonderer Weise zu meistern ist Michael Müller. Seit nunmehr fünf Jahren gibt er die künstlerische Richtung auf der Karl May Bühne von Burgrieden als Regisseur, Autor und Darsteller vor. Seine Adaptionen zeichnen sich durch eine extreme Nähe zum Original, eine weiten Teilen wörtliche Übernahme von Dialogelementen und eine schnörkellose Fokussierung auf die Kerngeschichte des jeweiligen Buches. Burgrieden gehört zu den kleineren Karl May Bühnen und feiert im kommenden Jahr das zehnjährige Bestehen. Michael Müller konnte in diesem Jahr bereits eine Inszenierung präsentieren, die einem Jubeljahr auch gut gestanden hätte. Mit vergleichsweise geringen Mitteln zaubert er eine Karl May Geschichte auf die Bühne, die in Intensität und Werktreue ihresgleichen suchen kann.
Was sind dabei die Faktoren die ein Publikum aller Altersklassen fast zwei Spielstunden zu fesseln vermag? Das Ensemble! Im Gegensatz zu anderen Bühnen verzichtet man hier auf ein großes Ensemble. Reduziert auf eine überschaubare Anzahl von Darstellern, die teilweise auch in unterschiedlichen Rollen erscheinen, zerfasert die Aufmerksamkeit des Zuschauers nicht wie auf anderen Bühnen, sondern konzentriert sich auf die wesentlichen Handlungsstränge. Diese verfolgt das Publikum in voller Aufmerksamkeit und erlebt jede Facette in ganzer Dramatik.
Die Darstellerriege fußt auf einer Gruppe von mittlerweile fest etablierten und vom Stammpublikum geschätzten Darstellern. Allen voran ein Old Shatterhand Darsteller der mit seiner ernsten und doch vor keiner Emotion zurückschreckenden Spielweise zu überzeugen weiß: Martin Strele. Im vergangenen Jahr musste er den Verlust des geliebten Blutsbruders ausspielen und ich gestehe: mir lief mehr als nur ein Schauer über den Rücken. Das Publikum teilte den Verlust und litt mit seinem Hauptdarsteller. In diesem Jahr darf Strele etwas reduzierter aber nicht weniger überzeugend agieren, da viele seiner Gedanken und Gefühle auf eine Erzählerfigur übertragen wurde: auf Karl May derer selbst. Erzählerstimmen sind auch auf anderen Bühnen durchaus üblich. Doch Michael Müller gelingt hier das Meisterstück, Karl May selbst als Erzähler in die Handlung, in die laufenden Bilder zu integrieren. Das wirkt keineswegs störend, sondern erfrischend anders. Ferdinand Ascher, der sich in den Vorjahren bereits als erstaunlich wandlungsfähig erwiesen hat, gelingt es diesem Erzähler alle Facetten zu verleihen: Empathisch, nachdenklich und euphorisch aber auch selbstkritisch, schlitzohrig und mutig. Eben all die Facetten, die die von ihm erfundenen Figuren ausmachen.
Zuletzt sei Alexander Baab genannt. Auch wenn ihm durch die deutlich größer als auf anderen Bühnen angelegten Rollen seines Vaters Intschu-tschuna und seiner Schwester Nscho-tschi der Platz fehlt, so nutzt er seine Freiräume doch trefflich und präsentiert sich kriegerisch und entschlossen als junger Kronprinz der Apachen. Aber auch die liebevollen familiären Momente, die ihm Autor Michael Müller durch seine Nähe zum Original bietet, spielt er gekonnt und sympathisch aus. Sein Winnetou wird von allen geliebt, Mädchen wollen ihn zum großen Bruder, Männer zum Kumpel und Frauen zum Partner. Das mag überzogen klingen aber dieser Winnetou findet eben überall Anklang. Für Baab selbst ist es der zweite Anlauf in dieser Rolle nachdem er im vergangenen Jahr seinen Vorgänger Max Feuerbach ablöste. Michael Müller hat ihn aber perfekt vorbereitet in diese beiden Spielzeiten geschickt und Baab dankt es ihm mit jeweils überzeugenden Leistungen. Dieses Blutsbrüderpaar würde auf jeder Bühne dieser Welt überzeugen können. Doch diese drei bilden nur die Spitze des Eisbergs.
Sven Kramer als Intschu-tschuna, Norbert Sluzalek als Santer (selten genug darf er diese Rolle mit durchgängiger Logik nach Winnetou III nun auch in diesem Jahr spielen), David-Jonas Frei als Rattler präsentieren in spielfreudiger Weise ihre jeweiligen Rollen. Dabei sticht Sluzalek besonders hervor, der seinen Schurken von einem eher unscheinbaren Parasiten und gesetzlosen Nutznießers des Eisenbahnbaus hin zu einem skrupellosen Mörder perfekt entwickelt. Es ist zwar eine darstellerische Rolle rückwärts aber für diese Kontinuität in der Besetzung darf man als interessierter Besucher nur Freude empfinden und Respekt zollen. Sven Kramer und David-Jonas Frei können diese Kontinuität leider nicht entwickeln, ihre jeweiligen Rollen sind durch jeweiligen Bühnentod auf die Geschichte Winnetou I beschränkt. Hardy Distel als Klekih-Petra bzw. Tangua und Georg Keyl als Bancroft dürfen sich darüber freuen, dass Michael Müller sie nicht auf die sonst so häufig auf wenige Sätze (falls die Rollen überhaupt vorkommen) reduzierten Kurzauftritte reduziert hat, sondern ihnen große und entscheidende Momente gegeben hat. Aber auch diese sind wichtig und komplettieren das Gesamtbild der Geschichte. Erkauft hat sich Michael Müller diesen Raum indem er zum einen eine längere Aufführung präsentiert als auf anderen Bühnen üblich und indem er auf unnötige erfundene oder ergänzte Handlungsstränge und Personen verzichtet. Das schafft eben Raum für die eigentliche Geschichte. Apropos Müller: in seiner eigenen Paraderolle als Sam Hawkens scheint er stets präsent ohne es tatsächlich zu sein. Manchmal genügt nur ein kurzer Satz um sich in Erinnerung zu bringen und er hat die Schmunzler regelmäßig auf seiner Seite. Seine Darstellung ist eine liebevolle Hommage an den legendären Ralf Wolter. Sein Sam Hawkens wird ernst genommen, hat echte Funktionen und Aufgaben zu erfüllen. Aber er ist kein Stichwortgeber oder Komödiant. Bleibt noch Christine Winter in ihrer Debüt Rolle als Winnetous Schwester Nscho-tschi zu würdigen. Ja, zu würdigen! Nicht einfach nur aufzuführen. Warum? Weil sie diese Rolle wirklich ausspielen darf! Groß angelegt, mit ausreichenden Raum das Verhältnis zu Vater und Bruder genauso darzustellen wie ihre zarte und unschuldige Liebe zu Old Shatterhand, darf sie auch hier eine Ausnahmestellung genießen. Michael Müller gönnt ihr Szenen und Momente, die romangerecht und somit einzigartig in der jahrzehntealten Bühnenlandschaft sind. Das Verständnis für diese junge Frau, ja man kann sagen für die ganze Häuptlingsfamilie wächst in einer Größe und Dimension wie ich es noch auf keiner anderen Bühne erlebt habe. Christine Winters Interpretation wirkt modern und traditionell zugleich. Momente kindlicher Naivität werden gepaart mit würdevollen und mutigen Auftritten. Ihr Bühnentod und das Zusammenspiel mit Martin Strele aka Old Shatterhand ist einprägsam und ergreifend. Dieses kleine extrem kompakte Ensemble entführt uns mit aller Konsequenz in eine Handlung, die nie langweilig, nie aufgesetzt und nie übertrieben wirkt.
Die Bühne selbst wirkt gegenüber anderen Spielstätten nostalgisch auf das Wesentliche reduziert. Es gibt keine magischen sich selbst drehenden Felskonstruktionen, keine gewaltigen Wasserfälle deren Fluten auf Knopfdruck hervorbrechen. Akzentvoll und auf ein Minimum reduziert wird (heftige) Pyrotechnik geboten wo es geboten ist. Nichts wird in inflationärer Weise präsentiert, Kämpfe und Action wo es geboten ist, Pyrotechnik und Musik wo es passt und den Moment unterstützt. Nichts wirkt übertrieben alles wirkt angemessen. Ein Beispiel gefällig? Der sonst nur sehr selten auf die Bühne gebrachte Kampf von Old Shatterhand mit dem Bären. Der Einsatz von echten Tieren verbietet sich von ganz alleine. Auftritte von Darstellern im Bärenkostüm wirken eher peinlich. Ähnlich verhält es sich mit Videoeinspielungen oder sonstigen Projektionen. Wie wird es also heuer in Burgrieden gelöst? Mit Fantasie! Aus dem Off erklingt das aggressive Brummen eines Bären. Hinter dem Felsen raschelt es in den Hecken und Bäumen, ängstliche Landvermesser stürzen hervor, warnen die Gefährten vor einem plötzlich aufgetauchten Bären. Der Held eilt um die Felsen, von nun an dringen nur noch die Laute des Kampfes zwischen Mensch und Tier an das Publikum heran. Schwankende Äste und raschelndes Gebüsch, ein Schuss, ein Schrei und die Laute des sterbenden Bären. Wir sehen nichts und verstehen doch alles. Darin liegt der Zauber der Müllerschen Inszenierung. Handwerklich perfektes hervorragend gespieltes Theater, dass jedem Zuschauer die Möglichkeit gibt, seine eigenen Bilder und Fantasien zu entwickeln.
Die Musik ist in weiten Teilen auf die klassischen Böttcher Melodien reduziert. Hier und da scheint sich auch die ein oder andere modernere Interpretation darunter zu befinden. Aber da Müller den märchenhaften Charakter des Original Romans bewahrt passt auch die wunderbare und nicht weniger märchenhafte Musik des unvergesslichen Martin Böttchers perfekt. Mehr braucht es nicht!
Karl Mays Traumwelten sind in den vergangenen zwei Jahren in jeder Hinsicht von selbsternannten Weltverbesserern unter Beschuss genommen worden. Hierauf findet man auch in Burgrieden die passende Antwort: die klare Abgrenzung von Gut und Böse. Es geht nicht darum, wie man die einzelnen Volksgruppen tituliert, es geht um die klare Botschaft von Respekt vor- und Rücksicht aufeinander. Dies soll gegenüber Mensch und Natur erfolgen. Der Träger dieser Botschaft ist in Burgrieden neben den Darstellern vor allem die omnipräsente Erzählerfigur des Karl May. Mit warmer aber doch überzeugter Stimme verkündet Ferdinand Ascher diese Werte und lässt dabei die Fragen anklingen, ob ein Karl May im 21. Jahrhundert nicht noch nachdrücklichere Worte und Formulierungen hierzu gefunden hätte.
Zu guter Letzt sei noch ein besonderes Beispiel für den Einfallsreichtum des Regisseurs und dessen Liebe zum Werk Karl Mays genannt: in der Hochphase seines Selbstbetrugs ließ dieser Fotos von sich in einem Fantasiekostüm anfertigen und verkaufte diese mit der Botschaft „Ich bin wirklich Old Shatterhand“. Diese Pose, diesen Moment der völligen Selbstüberschätzung hat Michael Müller in das Schlussbild der diesjährigen Aufführung eingearbeitet. Hier hüpft das Herz des Karl May Freundes! Wann hat es dies je gegeben? Aber auch der Durchschnittsbesucher ohne besonderes Hintergrundwissen würdigt diesen ungewöhnlichen Moment. Momente wie dieser (es sei noch die romangetreue „Übung“ erwähnt, in der Winnetou seine Schwester auf den Schultern trägt um seinem Blutsbruder eine falsche Fährte vorzugaukeln) sind so einzigartig und einprägsam, dass ich die Karl May Spiele Burgrieden für herausragend aus der sonstigen Karl May Bühnenlandschaft nennen muss.
Farewell, kleine Bühne. Wir werden uns hoffentlich im nächsten Jahr wiedersehen.
Euer Wild West Reporter
Andreas
3 Kommentare
Wir sind von Innsbruck gekommen um Winnetou 1 zu sehen , und waren begeistert !!!!! Ich war jetzt schon das vierte Mal in Burgrieden ( natürlich auch weil mein Sohn mitspielt ) und es ist immer wieder ein Erlebnis ! Ein ganz großes Lob an Michael Müller für diese großartige Inszenierung !!!!! Danke . Liebe Grüße Strele Hilde
Echt spannend. Mich hat Schauspieler Martin Strele voll überzeugt. Angenehme Stimme, toller Darsteller. Hoffe auf weitere Fortsetzungen. Kann ich nur jedem weiterempfehlen. Super
Bravo Martin Strele
Super Vorstellungen
Immer tolle und spektakuläre Szenen
Sehenswert!!!!