Traumhaftes Wetter, ausverkauftes Haus, ein neuer Winnetou. Die Rahmenbedingungen für die diesjährige Premiere am Segeberger Kalkberg waren optimal.
Unter den 7500 Besuchern waren wieder etliche prominente Gesichter aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltung zu finden. Die Landesregierung Schleswig Holsteins war mit Ministerpräsident Daniel Günther, Innenminister Hans-Joachim Grote und Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack vertreten. Mit Jan Sosniok, Till Demtrøder, Oliver Stritzel, Tanja Schumann, Dirc Simpson, Fried Wolff, Max König und Melanie Böhm wurden etliche ehemalige Darsteller am Segeberger Kalkberg gesichtet. Unter ihnen, zur Überraschung vieler, auch Claus Wilcke der 1980 am Kalkberg in der Inszenierung „Im Tal des Todes“ zu sehen war und als verwegener und draufgängerischer Millionär „Percy Stuart“ bekannt wurde. Die überaus herzliche Begrüßung durch Regisseur Norbert Schultze jr. ließ auf eine schon länger bestehende herzliche Freundschaft schließen.
Nach der Begrüßung durch Geschäftsführerin Ute Thienel, die dem im April verstorbenen Komponisten Martin Böttcher gedachte und danach begleitet von Standing Ovations des Publikums Erfolgsregisseur Norbert Schultze jun. mit würdevollen Worten verabschiedete, folgte die Eröffnung der neuen Spielzeit durch Ministerpräsident Daniel Günther.
Im Publikumsrund gab es nur ein wichtiges Thema: Kann Alexander Klaws Winnetou? Die Antwort folgte bereits nach wenigen Minuten. Schon im ersten Bild taucht Winnetou auf und man hatte das Gefühl, dass die Zuschauer ihn gleich angenommen haben. Winnetou ist zurück am Kalkberg. Jünger, dynamischer, aggressiver als alles was wir seit Klaus-Hagen Latwesen und Thomas Schüler erleben durften – und das liegt mehr als 30 Jahre zurück. Doch dazu später mehr.
Wir erlauben uns jetzt einen Blick auf die diesjährige Inszenierung ohne die Story selber zu Spoilern. Eine ausführliche Inhaltsangabe folgt in den nächsten Tagen.
Die Darsteller sind für die Inszenierung und das Publikum der wichtigste Aspekt. In diesem Jahr ist es den Karl May Spielen erneut gelungen, ein starkes Ensemble zu verpflichten. Ein altes Theatersprichwort sagt: „Ein guter Protagonist braucht einen starken Antagonist.“ Und genau das ist in diesem Jahr Nicolas König gelungen. Als alleiniger Oberschurke kämpft er, manipuliert er und hält bis zum Schluss immer wieder die Fäden in der Hand. Es ist eine wahre Freude Nicolas König in einer größeren Rolle zu sehen. Man merkt ihm diese Freude zu jeder Zeit an. Als “Schwerer Mokassin“ erlebt man König so stark wie zuletzt in der Spielzeit 2014. Vor allem in der ersten Hälfte hat man das Gefühl das König in nahezu jedem Bild zu sehen ist. Ein besonderes Highlight ist sicherlich sein Mord an dem jungen Krieger Mo-haw. Harald Wieczorek, als Tokvi-Tey, der Schwarze Hirsch und Owens zu sehen, blüht in diesem Jahr völlig auf. Das Urgestein der Karl May Spiele, genau vor 40 Jahren feierte er sein Debüt am Kalkberg, hat in diesem Jahr richtig viel zu tun und füllt seine Rollen mit Leben und sorgt für Gänsehautmomente. Besonders eindringlich spielt er die Trauer um seinen ermordeten Sohn Mo-haw. Diesen spielt Sascha Hödl. Leider bekommt der sympathische Österreicher viel zu wenig Gelegenheit, sein Können auf der Bühne zu zeigen. Mo-haw stirbt sehr früh und damit auch die Rolle von Sascha Hödl, der die kleine aber durchaus feine Rolle imponierend spielt. Sascha Hödl ist zusätzlich im Stuntteam zu finden und so ist er Bestandteil dieser gesamten Inszenierung. Beim großen Finale doubelt er Raul Richter. Man muss den Karl May Spielen unbedingt dazu raten auch zukünftig auf Sascha Hödl zu setzen. Spielfreude und Talent sind in dieser Form sicherlich nicht häufig zu finden. Der überdurchschnittlich starke Applausanteil beweist auch die Würdigung und Anerkennung seiner Person durch das Publikum. Hier wächst eine Kalkberg typische warmherzige Beziehung zwischen Darsteller und Publikum heran. Als Wohkadeh ist Fabian Monasterios zu sehen. Er spielt seine Rolle souverän und zeigt warum die Karl May Spiele immer wieder auf ihn setzen. Leider hat er die vermutlich undankbarste Rolle in der diesjährigen Inszenierung, steht er doch entweder mit dem Oberschurken oder den vielen Helden auf der Bühne. Richtig große Momente kann er dadurch leider nicht zeigen. Dennoch agiert er mit dem nötigen Stolz eines jungen Kriegers auf der Bühne und empfängt sogar von Winnetou höchstpersönlich die Häuptlingswürde.
Die Komiker: Auch in diesem Jahr steht Patrick L. Schmitz im Ensemble. Nach dem Dichter Heinz-Egon Winzigmann (2015), dem französischen Koch Francois (2017) und dem Dorfpolizisten José Sancho Gonzalez (2018) verkörpert er nun Antonio Ventevaglio, einen italienischer Kunstmaler. Wie gewohnt spielt er mit Freude und dem nötigen Charme seine ihm auf den Leib geschnittene Rolle. Vor allem sein direktes Spiel mit dem Publikum kommt gut an. Ihm zur Seite steht mit Jogi Kaiser ein waschechter Neuling im Ensemble. Als Schweizer Urs Bürgli versucht er im Wilden Westen seinen Schweizer Käse an den Mann zu bringen. Kaiser entpuppt sich dabei als absoluter Gewinn für die Karl May Spiele. Mit ihm hat Patrick L. Schmitz erstmals einen Komiker an der Seite der nicht nur Stichwortgeber sondern gleichberechtigter Mitspieler ist. Beide Komiker harmonieren prächtig. Mit seinem Schweizer Dialekt hat Kaiser, der auch schon in Elspe als Sam Hawkens zu sehen war, das Publikum direkt für sich gewinnen können. Schauspielerisch ist seine Leistung einfach grandios, oder?
Besonders unter Beobachtung stehen in Bad Segeberg immer wieder die Gaststars die Jahr für Jahr verpflichtet werden. In diesem Jahr hat man mit Raul Richter und Larissa Marolt derer zwei für die Bärenjäger Episode verpflichtet. Den Titelhelden gibt Raul Richter. Auch Richter macht einen tollen Job und legt seine Figur mit einer gehörigen Portion Lässigkeit an. Das Zusammenspiel mit Larissa Marolt funktioniert wunderbar, an einer Stelle mit einem kleinen Hauch Erotik, und in den weicheren Szenen kann Richter seine Stärken gut ausspielen. Mit ihm haben die Spiele am Kalkberg vielleicht sogar jemanden gefunden, der für andere Heldenrollen geeignet ist. Bei ihm denken vielen unweigerlich an einen kommenden Old Shatterhand. Optik und Präsenz bringt er mit und dürfte einer der Publikumslieblinge der Spielzeit 2019 werden. Leider ist, vermutlich aufgrund der Einführung eines neuen Winnetous, seine Rolle nicht wirklich die Titelrolle. Zu oft grätscht ihm Winnetou dazwischen. Dazwischen grätscht auch gerne Tiffany O‘ Toole alias Larissa Marolt. Sie war für viele wohl eine Art Wundertüte. Am Samstag wurde diese Tüte dann geöffnet und es wurden alle Kritiker überrascht. Marolt wusste von Beginn an zu überzeugen und ließ sich auch durch defekte Requisiten nicht aus dem Konzept bringen. Ihr beim „hochnäsigen“ Spiel zuzusehen ist ebenso ein Genuss wie bei den Liebesszenen mit Raul Richter. Richter und Marolt dürften im weiteren Verlauf der Saison die Publikumslieblinge bei Groß und Klein werden.
A pro pos Publikumslieblinge. Da gibt es noch zwei Darsteller die diese Bezeichnung wohl für sich beanspruchen dürfen. Zum einen wäre da der neue Old Shatterhand Sascha Gluth. Der ehemalige „Klaus Störtebeker“ findet sich im Ensemble sofort ein. Seine ruhige Art ist neben dem aufbrausenden Winnetou unglaublich wohltuend. Spannung, Stimme, Haltung: hier sitzt ein Vollprofi auf dem Sattel der seine, leider zu kleine, Rolle überzeugend zu füllen weiß. Es gibt keinen Grund das Gluth in Zukunft nicht weiter an Winnetous Seite reiten kann. Womit wir beim neuen Winnetou der Karl May Spiele Bad Segeberg wären, bei Alexander Klaws. Über kaum einen Winnetou ist im Vorfeld so heiß diskutiert worden wie über Klaws. Die Meinungen gingen von Fehlbesetzung bis Traumbesetzung. Manchen sahen ihn schon als großen Flop, andere setzten ihn mit Pierre Brice schon auf eine (Winnetou)Stufe. Der Schreiber dieser Zeilen sah ihn auch als potentiellen Flop und….wurde eines Besseren belehrt. Ich möchte Klaws heute noch nicht in den Winnetou Himmel neben Pierre Brice heben, dafür muss Klaws einfach noch ein paar Jahre spielen. Was ich aber gesehen habe ist ein motivierter, engagierter, junger Schauspieler der dieser Rolle eine ganz andere Note gibt, als seine Vorgänger zuvor. Aufgrund seines Alters bringt Klaws eine ganz andere Körperlichkeit mit, die er geschickt einzusetzen weiß. Die Kämpfe von ihm sind intensiver und schneller. Es scheint fast so als ob Klaws diese Actionszenen sucht. Auch spielt er den Häuptling der Apachen deutlich wilder und lauter als seine Vorgänger. Klaws konnte am ersten Spielwochenende direkt beweisen das wir mit ihm nicht den großen Prediger sondern Kämpfer erwarten dürfen. Seine Stimme ist sicherlich für den ein oder anderen noch ein wenig gewöhnungsdürftig, passt aber im gesamten zu seiner Rolle. Das einzige was vielleicht zu bemängeln ist, sind seine Mimiken. Oftmals wirkt es so als ober er grinsend im Theaterareal steht. Ansonsten bleibt mir nur eines: Ich ziehe meinen Hut vor ihnen, werter Herr Klaws. Mit dieser Performance habe ich nicht gerechnet. Rundum ein gelungenes und in weiten Teilen enorm starkes Debüt.
Einen Darsteller habe ich bis hierher noch nicht genannt. Es hat aber einen besonderen Grund das Joshy Peters von mir zuletzt genannt wird: Er hat es verdient. Peters hat als Bärenjäger Baumann sicherlich nicht seine größte Rolle, ist aber einfach nicht mehr vom Kalkberg wegzudenken. Als Bärenjäger ist er Vater, Freund, humorvoll, tänzerisch versiert und einfach der Star auf dieser Bühne. War er jahrelang als Shatterhand oder Bösewicht in klare Schubladen zu stecken, zeigt er in den vergangenen Jahren immer wieder seine Wandlungsfähigkeit. Ob als Buffalo Bill, Missouri-Blenter oder eben jetzt als Bärenjäger Baumann: Peters gibt seinen Figuren ein starkes Profil und es ist eine wahre Freude ihm zuzusehen. Ich hoffe inständig dass die Verantwortlichen auch für die nächsten Jahre eine Rolle für ihn finden werden. Welche ist eigentlich egal. Hauptsache Joshy Peters ist dabei!
Mit einem solch starken Ensemble kann man nicht mehr viel verkehrt machen. Und das tun die Verantwortlichen auch nicht. Was der Zuschauer geboten kommt ist Familienunterhaltung im besten Sinne. Besonders hervorzuheben ist sicherlich die Kulisse. Baumanns Ranch und die Stadt über den Wolken stechen besonders hervor. Ergänzt wird das Bild durch neu gepflanzte Bäume und Sträucher. Damit kehrt auch etwas mehr Natur auf die Bühne zurück – das tut dem Auge gut. Es ist eine Wohltat zu sehen dass man sich Jahr für Jahr bemüht dem Publikum etwas Neues zu bieten. Auch an den Kostümen kann man sich als Besucher erfreuen. Ob es nun der Look vom „Schweren Mokassin“ oder vom Schweizer Bürgli ist. Man merkt dass auch hier Jahr für Jahr dafür gesorgt wird, das man dem Publikum etwas Neues und außergewöhnliches zu präsentieren. Letzteres gilt auch für den Einsatz von Tieren. Ein Geier, ein Adler, Ziegen, Lämmer, Hühner und ein Stinktier. Diese Tiere werden zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt und Entschleunigen die Inszenierung auf angenehme Art und Weise. Ein angekündigtes Rind war am Premierenwochenende nicht zu sehen. Laut unseren Informationen hat das Tier sich nicht ganz wohl gefühlt, so dass man auf einen Einsatz verzichtet hat.
Die Inszenierung selber ist vor allem bis zur Pause stark. Nach der Pause flacht die Story insgesamt ein wenig ab, schmälert den Gesamteindruck jedoch nicht. Dennoch gibt es einige Dinge die verbesserungswürdig erscheinen. Zum einen die Rolle des Martin Baumann. Als Titelheld erwartet man gerade von ihm den ein oder anderen starken oder besonderen Moment. Auf diesen besonderen Moment wartet man aber vergeblich. Dies dürfte der Tatsache geschuldet sein das man in diesem Jahr einen neuen Winnetou einführen musste, dem man dementsprechend die Möglichkeit gibt sich besonders stark zu präsentieren. Auf der einen Seite verständlich auf der anderen ist es sehr schade, da Raul Richter wie für diese Bühne gemacht zu sein scheint. Leider gibt es auch eine Szene die für unfreiwillige Schmunzler im Publikum sorgt: Winnetous Beschwörung um den Eingang zur Stadt über den Wolken zu öffnen. Bei aller Fantasie und bei aller Kraft die ein Held haben darf: Das wirkt übertrieben und sieht (Winnetou wedelt mit seinen Armen murmelnd vor der steinernen Tür) einfach albern aus. Sicherlich mag dieses für die künstlerische Leitung ein simpler Weg gewesen sein diesen Eingang zu öffnen, aber andere Lösungen wären für das Gesamtbild sicher sinnvoller gewesen, vor allem weil man aufgrund der Action in Gefahr läuft gar nicht mitzubekommen das Winnetou diese Tür beschwören will. Dieses gilt auch für andere Szenen. Die Entführungen vom Bärenjäger Baumann und Tiffany O‘ Toole gehen ebenso bei den Actionszenen unter wie auch der Flug des Geiers. Zu guter Letzt darf man sich auch die Frage stellen ob die Schlussszene sich mehr nach Indiana Jones als nach Karl May anfühlen darf. Ich denke ja, aber die Verantwortlichen sollten es bei diesem einem Mal belassen. Dennoch gehört die Schlussszene mit zu den ungewöhnlichsten die man bisher am Kalkberg gesehen hat. Es kracht und raucht an allen Ecken und Enden und die in Flammen stehende Brücke samt Stunt sind genauso beeindruckend wie der tiefe Fall des Schweren Mokassin.
Fazit: „Unter Geiern – Der Sohn des Bärenjägers“ ist sicherlich nicht die beste Inszenierung der letzten Jahre, was vor allen Dingen an den Spielzeiten 2013 und 2014 liegt, ist jedoch deutlich besser als die Saison 2015. Es werden einige Ausrufezeichen gesetzt. Vor allem bei Darstellern, Bühnenbild und Garderobe. Mit dem Schlussbild hat man für die folgenden Jahre eine hohe Messlatte gesetzt. Ob diese zu überspringen ist, scheint fraglich zumal der Finalstunt im nächsten Jahr recht klar sein sollte. Die von mir angebrachten Kritikpunkte werden 95 % der Besucher nicht interessieren, geschweige denn auffallen. Deshalb muss man an dieser Stelle auch klar sagen dass die Karl May Spiele einen wahnsinnig guten Job machen. Mit dem Anspruch durch den Einsatz von Tieren, neuem Bühnenbild, starken Darstellern, neuen pyrotechnischen Effekten und eines dem Zeitgeist angepassten Buches ein möglichst breites Publikum zu bedienen, kann man vielleicht auch gar nicht immer alles perfekt gestalten. Muss es auch nicht. In Bad Segeberg erleben wir Volks – und Familientheater in bestem Sinne. Und das wurde erneut gut gemacht. Unter Geiern – Der Sohn des Bärenjägers macht Spaß.
Ausblick: Die Chancen auf über 400.000 Besuchern stehen gut, so gut wie nie zuvor. Der Vorverkauf lief zwischenzeitlich so gut dass sämtliche Server zusammengebrochen sind. Die Verpflichtung von Klaws sorgt zudem für den größtmöglichen Werbeeffekt und das Publikum wird diese Inszenierung lieben. Wenn nicht jetzt, wann dann? Vielleicht im nächsten Jahr wenn „Der Ölprinz“ auf dem Programm steht. Lassen wir uns überraschen.