Mit einem fulminanten Stück melden sich die Störtebeker Festspiele zurück aus der zwei Jahre andauernden Zwangspause.
Eine rundum begeisternde Inszenierung lässt die Augen der Zuschauer wieder erstrahlen.
Angefangen bei der Kulisse, die bereits seit 2020 am Ufer des Jasmunder Bodden aufgebaut ist und darauf gewartet hat bespielt zu werden. Die kleine Kirche, das große Herrenhaus und den in Bau befindende Turm auf der linken Seite, gab es in abgewandelten Formen bereits in vergangenen Inszenierungen. Aber muss man das Rad neu erfinden? Diese Kulisse passt wunderbar ins Bild, ist nicht überladen und kann auch zum Schluss noch mit ungeahntem Verborgenem aufwarten, wenn Marienhafe ums überleben kämpft. Auf der rechten Seite hat sich der Bühnenbildner etwas ganz Neues einfallen lassen. Um dem Besucher deutlich zu machen, dass man sich hier in keiner normalen Stadt befindet, sondern in Amsterdam, die für seine Grachten berühmt und noch heute bekannt ist, wurde um die großen Bauten ein Wassergraben angelegt. Eine Klappbrücke, die ähnlich aussieht wie die bekannte „Magere Brug“ in Amsterdam und einer kleinen Bogenbrücke, die des Öfteren von den Darstellern ins Stück mit einbezogen wird, verleihen dem ganzen noch mehr Flair. Hinzu kommen noch Häuser, die auf den ersten Anschein keine Besonderheit vermuten lassen, dennoch das eine oder andere Mal in den Vordergrund geschoben werden.
Diese schöne Kulisse, direkt vor dem wieder einmal beeindruckenden Panorama der Ostsee und der Kreidefelsen von Rügen, wird von den Darstellern mit viel Freude bespielt. Jedem einzelnen ist die Begeisterung anzumerken, die auch nahezu jeder Besucher haben dürfte, endlich wieder dieses Theater erleben zu dürfen. Ganz oben auf der Darsteller-Liste steht der neue und jüngste Klaus Störtebeker-Darsteller Moritz Stephan. Nach zwei Jahren Wartezeit kann der junge Dresdener sich in dieser Rolle beweisen. Was er mit sehr viel Hingabe und Überzeugung macht. Ob bei Aktion geladenen Szenen, wie Zweikämpfen mit dem Schwert und Raufereien oder ruhigeren Momenten, wie tiefgründige Monologe und Momenten mit der großen Liebe, überall ist seine Spielfreude und sein brennen für diese Rolle zu spüren. In nichts nach steht ihm sein Waffenbruder und Freund Goedeke Michels. Alexander Hanfland hat in seinem dritten Jahr auf Rügen viele Szenen mit seinem Vitalierbruder und überzeugt erneut als gutherziges und raubeiniges Pendant zu dem teilweise etwas besonnenen Störtebeker. Wenn viele denken, dass diese Rolle lediglich ein guter Stichwortgeber für die Hauptrolle ist, wird hier positiv überrascht. Störtebeker und Michels stehen sich hier als komplett ebenwürdig und gleichberechtige Hauptmänner der Likedeeler gegenüber. Keiner kristallisiert sich als übermenschlicher Superheld heraus. Sie kämpfen Seite an Seite.
Die Spaßvögel in diesem Stück sind, auch bereits zum dritten Mal, Siggi und der Kleene. Beide Figuren grandios verkörpert von Charles Lemming und Volker Zack. Ihre Witze und lustigen Sprüche treffen immer ins Schwarze und wirken nie deplatziert. Sie passen in die Geschichte. Zu keinem Zeitpunkt wirkt die Komik überladen. Genau der richtige Mix.
Die Gegenspieler bestehen dieses Jahr aus einen Brüderpaar und einem reichen Kaufmann aus Hamburg. Allzweckwaffe Norbert Braun kann als Harald Dürrkopp, gerade in der 1.Hälfte, leider wenig von seinem, nicht zu verachtenden, Können zeigen. Die Rolle des beliebten Ex-Störtebeker Darstellers wird bei den Zuschauern vermutlich nicht weit oben auf der Sympathie-Skala landen. Bringt er doch den Hass gegen die Halunken und sein Verlangen, mit der Hanse im Rücken, das Piratenpack zu vernichten, sehr überzeugend rüber. Was für einen Schauspieler, in einer Schurkenrolle, vermutlich vielmehr Lob als Kritik sein dürfte. Gleiches wird auch für Gustav Bernevur, Viktor Nilsson, und seinen großen Bruder Richard, Mike Hermann Rader, gelten. Der junge Gustav zieht schon von Beginn an die Fäden und spannt seinen Bruder Richard für die Drecksarbeit ein. Dieser hat im Laufe des Stücks immer mehr mit der inneren Zerrissenheit zu kämpfen. Auch diese beiden Figuren werden von ihren Darstellern mit viel Überzeugung verkörpert. Ihre Hassliebe ist zu jeder Zeit glaubwürdig. Es scheint, als ob sie schon viele Jahre gemeinsam auf der Bühne stehen.
Mit Widzeld tom Brok gibt es noch eine weitere Person, die mit Klaus Störtebeker zwar eine Zweckpartnerschaft eingegangen ist, jedoch sein Handeln, vor allem aber das seiner Schwester Occa tom Brok, im Weg zu stehen droht. Er zeigt zu jedem Zeitpunkt, dass er alles nur einem Ziel unterordnet. Egal welche Hindernisse dafür aus dem Weg oder welche Bündnisse aufgekündigt werden müssen. Das weiß der Darsteller dieser Figur, Thomas Ziesch, sehr überzeugend mit seinem Schwert und auch seinen Worten darzustellen. Widzelds Schwester Occa scheint ihm das eine oder andere Mal dabei ein Hindernis zu sein. Wobei er lange Zeit nicht ahnt mit wem Lisa Ahorn, in der Rolle der hübschen Friesin, hinter seinem Rücken anbandelt. Frau Ahorn bringt in ihrem ersten Jahr in Ralswiek das Herz des Hauptmanns der Vitalier zum Schmelzen. Die Sorge um die Zukunft ihres Liebsten lassen die Zuschauer mitleiden. So gut wie jeder weiß, dass die Vorhersagen von Amrei, erneut eine grandiose Rolle für Karin Hartmann, am Ende eintreffen werden. Mit ein wenig „Hokuspokus“ versucht die Seherin ihre Mitmenschen in Marienhafe vor ihrer Zukunft zu schützen oder zumindest ausreichend darauf vorzubereiten. Genauso wie bei der Komik verkommen auch diese mystischen Szenen nicht zum Kitsch und wirken nie unangebracht. Herrliche Kabbeleien liefert sie sich mit Bruder Heribert, Michael Rothmann, der stets um die Sicherheit seiner kleinen Kirche und die Einhaltung der groben kirchlichen Richtlinien besorgt ist.
Das Wirtshaus in Amsterdam wird von der resoluten Wirtin Rosie betrieben. Martina Guse lässt sich von den bei ihr einkehrenden Piraten nicht auf der Nase herumtanzen und weiß auch ihren Partner Hans, Volker Wackermann, jederzeit richtig zu nehmen. Der ehemalige Seemann ist die gute Seele der Wirtschaft und hat für jede Lebenslage eine Geschichte zum Besten zu geben. Manchmal sehr zum Leitwesen seiner Wirtin. Manche Szenenwechsel werden abermals von Wolfgang Lippert mit Liedern überbrückt. Neben dem Evergreen „Albatros“ (Original von Karat) singt das Urgestein unter anderem auch das Lied „Reichtum der Welt“ von Holger Biege.
Insgesamt gesehen ist, meiner Meinung nach, den Verantwortlichen um Familie Hick ein sehr unterhaltendes und kurzweiliges Stück gelungen. Sie zeigen, wie schon die ganzen letzten Jahrzehnte, dass es keine „Stars“ braucht um erfolgreich zu sein, solang ein starkes Ensemble und eine gute Geschichte hinter einem stehen. Einziges „Manko“, wenn man das so nennen möchte, ist vielleicht der etwas langatmig wirkende Aufbau der norwegischen Stadt Bergen. Während eines Angriffs auf See wird von der linken Seite ein Teil der Stadt eingefahren und aus dem Hintergrund aufgeklappt. Da dadurch die Ostsee nicht mehr zu sehen ist und ansonsten auch nichts Weiteres geschieht, hängt man ein wenig in der Luft.
Was zum Schluss vielleicht noch erwähnt werden sollte ist die Show vor der Show. In „Könige der Lüfte“ präsentiert das Falkner-Ehepaar Lisa und Volker Walter eine Reihe ihrer Greifvögel. Vom kleine Bussard, über die lautlos fliegende Eule, bis hin zum großen Weißkopfseeadler. Herr Walter erklärt mit viel Hingabe und purer Leidenschaft die teilweise kleinen und großen Unterschiede der verschiedenen Vögel. Durch einige lustige Anekdoten und „Gesprächen“ mit seinen Tieren, unterhält er das Publikum von der ersten bis zur letzten Sekunde.
Allen bei den Störtebeker Festspielen Arbeitenden ist anzumerken, dass eine große Portion Leidenschaft und sehr viel Herzblut eingebracht wird.
Da ist es selbstverständlich, dass der Kampf im nächsten Jahr weitergeht. Wieder mit Moritz Stephan als Klaus Störtebeker und Alexander Hanfland als Goedeke Michels. Vom 24.Juni bis zum 09.September wird „Gotland unter Feuer“ stehen.