Alles neu macht der Mai?
Beobachtungen zur Inszenierung von „Der Ölprinz“
Einen Roman zu adaptieren und bühnenreif zu machen ist die Aufgabe eines Autors. Mit Michael Stamp verfügt man am Kalkberg über einen erfahrenen und intimen Kenner der Karl May Bühnen-Welt. Bereits vor vielen Jahren hat Michael Stamp einen persönlichen Stil zur Bearbeitung der Mayschen Romane gefunden, der der sich als kommerziell sehr erfolgreich erwiesen hat. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus Handlung, Action, Humor und Tieren, die sich alljährlich als Generationen übergreifend interessant und faszinierend erweist. Bad Segeberg, das bedeutet Familienunterhaltung. Egal ob Kind oder Großvater, es gibt für jeden etwas über das er lachen oder bei dem er mitfiebern kann. Diesen Mix zu präsentieren ist jedoch Aufgabe des Regisseurs. Wenn sich dieser jedoch nicht mit dem Textbuch identifizieren, bzw. keine Vision davon entwickeln kann, droht die Gefahr von künstlerischen Verzerrungen. Viele Jahre lang lag die Verantwortung hierzu bei dem mittlerweile verstorbenen Norbert Schultze jr., der sich dieser Aufgabe als würdig erwies. Ein Zuschauerrekord nach dem anderen ist klarer Beleg hierfür. Im Mai diesen Jahres schwang – mit zweijähriger Verzögerung – erstmals Ulrich Wiggers das künstlerische Zepter und startete die Proben zur neuen Aufführung. Am 25. Juni durfte ein erwartungsvolles Premierenpublikum das Ergebnis begutachten. Um es vorweg zu nehmen: die Aufführung wurde vom Publikum begeistert aufgenommen. Denjenigen, die seit vielen Jahren die Aufführungen am Kalkberg besuchen, fielen trotzdem einige Unterschiede im Inszenierungsstil des neuen Regisseurs auf.
Zunächst zur Optik. Die Handlung des Romans „Der Ölprinz“ spielt sich weitestgehend in der freien Natur ab. Lediglich eine kümmerliche Ölförderanlage am Shelly See, ein baufälliger Saloon am Rande einer kaum erwähnenswerten Siedlung, sowie ein Pueblo der Nijoras tauchen als Bauwerke auf. Diesen Vorgaben folgt man grundsätzlich auch bei der Gestaltung des Bühnenbilds aber mit anderen Schwerpunkten. Ein erheblicher Teil des Romans spielt rund um das Pueblo und nur ein sehr geringer Teil des Finales an der vermeintlichen Ölquelle. Michael Stamp hat in seiner Adaption die Schwerpunkte genau umgedreht.
Eingangsszene, Finale und Zwischenbilder spielen rund um die üppig angelegte Förderanlage mit zwei Türmen, Verwaltungsgebäuden und einer zusätzlichen Bahntrasse. Das Pueblo bleibt hingegen weitgehend unbespielt, die Krieger versammeln sich regelmäßig unterhalb des Baus, wie Kinder die man zum Spielen vor die Tür schickt. Das Pueblo wird nur am Rande als Ort der Befreiung des Bankiers Duncan und seines Buchhalters verwendet. Die romantisch angehauchten großen Bilder indianischen Lebens, die u.a. die künstlerische Handschrift von Norbert Schultze trugen, sucht man vergebens. Getoppt wird dies von einem, auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne aufgebauten, kleinen Zelt-Dorf der Navajos in dem sich im Grunde auch keine Handlung entfaltet. Kaum ein Blick liegt auf diesem Teil der Bühne und so können sich auch keine erinnerungswürdigen „Bilder“ in den Köpfen der Besucher festsetzen. Ein ähnliches Schicksal wäre wohl auch Paddys Saloon beschert, wenn er nicht famos in einem (!) Bild bespielt würde. Jedoch drängt er sich als Kulisse im weiteren Verlauf noch einmal eher peinlich auf als der Siedlertreck, zuvor noch wunderbar in großer Pracht dargeboten, auf einmal wie panisch an die Saloon Kulisse „quetscht“, um dort ein Nachtlager aufzuschlagen. Errichtet wurde das Bühnenbild von Leif-Erik Heine, einem von Wiggers sehr geschätzten Bühnenbauer, der jedoch im Wesentlichen auf den bereits 2020 von Andreas Freichels gestalteten Entwurf zurückgriff.
Stil und Art der Inszenierung trägt eine andere Handschrift. Man merkt deutlich, dass Ulrich Wiggers zuvor Theaterstücke und Musicals inszeniert hat. Die Erfahrung im Umgang mit der Tiefe des ihm zur Verfügung stehenden Raumes muss er genau wie seine Vorgänger erst einmal sammeln. Die Darstellung des Nachtlagers und die anschließende Szene des Dialogs zwischen Lissy und Shi-So ist für mich ein passendes Beispiel. Der Siedlertreck wird eng zusammengedrängt an die Saloon Kulisse gespielt und das gesamte Bild sodann eingefroren, d.h. kein Darsteller bewegt sich mehr. Dies soll wohl dazu dienen, die volle Aufmerksamkeit des Publikums auf das unglückliche Liebespaar und seinen Dialog zu lenken. Ein Mittel das auf einer klassischen Bühne gewiss verfängt. Auf der großen Open Air Bühne verpufft die Wirkung und irritiert. Das lenkt die Zuschauer eher von der tief unten an Block A angelagerten Szene der beiden Liebenden. Die Stelle scheint unglücklich gewählt da das Paar dort nicht von allen Besuchern gleichermaßen gut zu erkennen ist und man hat nicht das Gefühl, dass hier etwas Wesentliches passiert. Dialoge und Schauspiel sind in dieser Premiere über jeden Zweifel erhaben und wunderbar ausgespielt. Allerdings liegt der Fokus so stark auf den Protagonisten, dass die Statisten irgendwie zur reinen Staffage geraten. Passiv, in weiten Teilen unbewegt, rahmen sie die Protagonisten ein und wirken dabei fast wie Fremdkörper. Sie werden weniger, als aus früheren Jahren gewohnt, in das Gesamtbild mit Aktivität eingebunden. Lagerleben, Siedler- und Arbeitsalltag haben wir schon üppiger und den Gesamteindruck prägender erlebt. Einzig die Tänze gefallen durch ihre Choreographie und Lebendigkeit – wenn auch die Musik teilweise unglücklich erscheint. Apropos Musik. Uns war immer bewusst, dass Norbert Schultze jr. ein besonderes musikalisches Feingefühl in die Wiege gelegt wurde. Seine Musikauswahl war überaus stimmig, unterstützte und untermalte die Szenen und trug maßgeblich zur Wirkung der jeweiligen Aufführung bei. Leider wirkt die diesjährige Zusammenstellung nicht ganz so harmonisch und in sich geschlossen. Freunde der Filmmusik werden verschiedenste Komponisten und Stilrichtungen identifizieren. Das Leitmotiv aus dem Film „Rainman“ als Begleitung zu dem rituellen Feuertanz wurde bereits kurz nach der Premiere lebhaft diskutiert.
Zu guter Letzt die Action. Hier scheint mir das größte Entwicklungspotenzial zu liegen. Die Überfall- und Kampfszenen wirkten leider behäbig, die Reiterkomparsen zu sehr auf ihre Pferde und weniger auf die Szene konzentriert. Der Angriff auf den Siedlertreck verläuft tatsächlich weniger rasant und impulsiv, als wie eine einstudierte Tanzeinlage, bei der sogar kurze Pausen-Momente in die Blöcke eingebaut schienen. Nach der ersten Salve warten die Angreifer regelrecht ab, ob und wer den nächsten Zug tut. Schüsse fallen ungezielt und nur um des Lärms wegen. Einzig die Zweikämpfe zwischen Ersatz-Winnetou Sascha Hödl (wobei es mir wahrlich schwerfällt, ihn als „Ersatz“ zu bezeichnen) und dem jeweiligen Gegner waren konsequent und rasant choreografiert. Auch das Schlussbild leidet unter diesem weitest gehenden Verzicht auf ein Feuergefecht, auf Zweikämpfe und der totalen Fixierung auf das Geschehen am Bohrturm. Erneut stirbt der (stark gespielte) zweite Schurke eher unbeachtet und nicht wenige fragten sich am Ende was ihm denn zugestoßen sei.
Insgesamt eine Aufführung, die von einem sehr guten bis erstklassigen Ensemble getragen, zu unterhalten versteht, den eingefleischten Karl May Anhänger aber mit ambivalenten Eindrücken zurücklässt. Mein alter Lateinlehrer hätte es wohl als 3 + mit Luft nach oben bewertet. Play it again, Ulrich Wiggers. Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. 2023 steht eines der besten und bekannten Karl May Geschichten auf dem Spielplan und da sollte es dann richtig rund laufen.
Mehr zum Buch und unser Fazit zu „Der Ölprinz“ folgt in den nächsten Tagen