Ganze zwei Jahre mussten wir warten, bis es ein neues Abenteuer um Winnetou und Old Shatterhand bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg gab. Aufgrund der bekannten aktuellen Lage war leider eine „normale“ Aufführung am Fuße des Kalkbergs nicht möglich. Auch auf Pferde, Explosionen und mehrere tausend Zuschauer muss diesen Sommer leider verzichtet werden. Dennoch kann sich das Alternativ-Programm mehr als sehen lassen und wird hoffentlich noch eine lange Zeit viele Menschen begeistern. Aber fangen wir von vorne an.
Wie schon im letzten Sommer bietet die Kalkberg GmbH erneut Backstage-Führungen an, die dieses große Theater, mitten in Schleswig-Holstein, aus einem ganz anderen Blickwinkel sehen lassen. Zusätzlich wird seit dem 01.Juli ein Live-Hörspiel im Indian Village aufgeführt, welches die Zuschauer und die Akteure ein Stück weit zurück zur Normalität des Theaters führt. Endlich ist es wieder möglich, live vor Ort zu sein, wenn die berühmten Blutsbrüder von Karl May, ihre treuen Gefährten und viele andere, gegen das Böse kämpfen.
Achtung! Ab hier kann der Artikel Spoiler enthalten!!
„Winnetou – Das Gold der Rocky Mountains“ heißt das brandneue Stück, aus der Feder von Textbuchautor und Mediensprecher Michael Stamp, der gleichzeitig Regie führt. Die Geschichte basiert lose auf Karl Mays Roman „Weihnacht“. Anders als bei einer Inszenierung unten im Kalkbergrund gibt es bei dem Live-Hörspiel keine große und aufwendige Kulisse. Auch die Bühne ist deutlich kleiner, als wir es gewohnt sind. Trotzdem haben es alle Verantwortlichen geschafft, ein einzigartiges Erlebnis auf die Beine zu stellen, um die Besucher wieder in den Wilden Westen zu entführen. Für die Umsetzung hat die Kalkberg GmbH, bis auf eine Ausnahme, bekannte und vor allem beliebte Gesichter in ihr Team geholt.
Angefangen mit dem Off-Sprecher Nicolas König, der vor und nach dem Stück auf die aktuellen Hygienerichtlinien hinweist und alle Besucher in „Kalkberg-Manier“ begrüßt. Im Hintergrund wirken noch der Waffenmeister Horst Lipsius, der die Silberbüchse aus dem Hintergrund erklingen lässt und Thomas Fuß und Lasse Dunker. Sie sind für den Ton verantwortlich.
Auf der Bühne, quasi im Rampenlicht -oder am Tage unseres Besuchs mehr im Sonnenlicht- stehen eine Schauspielerin, sechs Schauspieler und ein Geräuschemacher. Der langjährige Statist Marc Francisco untermalt die Szenen in dem er die passenden Geräusche gestaltet. So hämmert er auf Blechkisten herum, schlägt Türen auf und zu, geht auf Kies entlang und vieles mehr. Alles um das Gefühl zu vermitteln, mittendrin im Geschehen zu sein. Unterstützt wird er dabei von Patrick L. Schmitz, der zum Beispiel mithilfe einer Pfeife täuschend echt einen heranfahrenden Zug imitieren kann. Jedoch ist das nicht seine größte Passion. Im Jahr 2015 gab er sein Debüt als dichtender Heinz-Egon Winzigmann, den er in diesem Stück wieder hervorragend auf die Bühne bringt. Außerdem zeigt er in den Rollen des alten Lachner und des Häuptlings Avaht-Niah, dass er bei weitem nicht nur ein Genre perfekt bedienen kann. Seine vergangenen Rollen am Kalkberg – Antonio Ventevaglio, José Sancho Gonzalez und François – machen ebenfalls einen kleinen Abstecher in dieses Abenteuer. In vielen Szenen an seiner Seite steht Jogi Kaiser. 2019 noch als Schweizer Urs Bürgli im Westen unterwegs, schlägt er sich jetzt als Sam Hawkens mit den Eigenheiten des Dichters herum, treibt als Gangsterboss Corner sein Unwesen, gerät als Baron von Hiller in die Gefangenschaft der Schoschonen und beeindruckt mit einer kleinen Gesangseinlage.
Melanie Böhm ist die einzige Frau im Ensemble und darf als Baronin von Hiller ihren heimischen österreichischen Dialekt zum Besten geben. Ähnlich wie bei ihrem Debüt 2018 als feurige Felisa, tanzt und singt sie zusätzlich als Saloonlady Rosita und bringt das Herz ihrer großen Liebe zum Schmelzen. Neben ihr steht Fabian Monasterios, der bereits viele Rollen in der Arena spielte. Bei diesem Stück zeigt er, wie jeder andere, seine großartige Wandlungsfähigkeit. In einem Moment ist er noch der Wirt des Saloons, im nächsten schmiedet er als Prayer-Man gemeinsame Pläne mit Corner und wieder in einem anderen verkörpert er den Häuptling der Kainai-Indianer, Peteh. Ganz links außen steht das „Greenhorn“ Jan Stapelfeldt. Bevor er sich im nächsten Jahr in das Abenteuer „Der Ölprinz“ stürzt, gräbt er, von der Trauer getrieben, als Wagare-Tey das Kriegsbeil aus und trifft als Carpio auf seinen alten Schulfreund Karl „Scharlih“ May.
Dieser wird wieder einmal grandios von Joshy Peters gespielt. Peters ist vom Kalkberg nicht mehr wegzudenken, da war es klar, dass auch er zum Ensemble des Live-Hörspiels zählen muss. Neben seiner Rolle als Old Shatterhand, zeigt er als Erzähler mit seiner markanten Stimme sein Können. Zu guter Letzt fehlt der berühmteste Häuptling der Apachen: Winnetou. Grandios und wirklich mehr als überzeugend dargeboten von Sascha Hödl, der einen beachtlichen Werdegang, nicht nur am Kalkberg zurückgelegt hat. Bereits fünf Mal stand er als Blutsbruder Old Shatterhands bei den Festspielen Winzendorf auf der Bühne, bei denen er sich vom (Kinder-)Kleindarsteller zum Hauptdarsteller hochgearbeitet hat. Vor drei Jahren wagte er den Schritt in den Norden Deutschlands und spielte verschiedene Rollen. 2019 hatte er eigentlich eine kleine aber wichtige Rolle als Mo-haw. Wegen der Verletzung eines Kollegen sprang jedoch kurzfristig als Yuma-Shetar ein und unterstützte zusätzlich das Stuntteam. Das Ensemble wurde noch durch eine besondere Personalie ergänzt: für eine kleine Off-Sprecherrolle konnte zusätzlich niemand geringeres als der „Häuptling, der mit dem Herzen spricht“ Gojko Mitic gewonnen werden.
Es ist klar, dass dieses grandiose Live-Hörspiel keinen Karl-May-Sommer in Bad Segeberg ersetzen kann, wie wir ihn kennen. Das muss es auch nicht. Die Verantwortlichen haben es geschafft, für 90 Minuten die aktuelle Welt auszublenden und uns alle mit in den Wilden Westen zu nehmen. Das wie selbstverständlich wirkende Beachten und Einhalten der Hygieneregeln durch die Ordner, trägt zusätzlich zu einem sicheren Gefühl und einer entspannten Zeit bei.
Das Beste ist, dass das Abenteuer „Winnetou – Das Gold der Rocky Mountains“ die lange Zeit verkürzt, die wir noch warten müssen, bis es im nächsten Sommer endlich wieder heißt: „Sattelt die Pferde und Let’s go“!
Ihr könnt das neue Abenteuer im Indian Village am Kalkberg von Bad Segeberg voraussichtlich noch bis zum 18.Juli -wir hoffen, dass es noch länger gespielt wird- Donnerstags bis samstags um 15 und um 19 Uhr, sowie sonntags um 15 Uhr zu sehen.