Viva la Mexico!
ah/mg „Können Sie sich daran erinnern wann wir zuletzt so ein Wetter bei einer Pressevorstellung hatten?“ Zu Beginn der heutigen Präsentation schien dies die spannendste Frage zu sein. Doch bereits nach wenigen Minuten deuteten sich für uns die ersten Überraschungen in einer Aufführung an, die thematisch zuletzt vor 13 Jahren am Kalkberg gespielt wurde. Doch der Reihe nach. Tatsächlich durften wir die heute Pressevorstellung unter besten äußeren Bedingungen erleben. Ein blauer Himmel von wenigen Wolken gesprenkelt breitete sich über der neuen erneut überzeugend und realistisch gestalteten Kulisse aus. Zur Linken des Zuschauers erhebt sich in diesem Jahr ein majestätischer Steinbau der dem von 2005 in keiner Weise nachsteht und vielfältige Auftrittsmöglichkeiten bietet. Zu Rechten erblickt man das mexikanische Dorf Guaymas mit Cantina, Bank und dem herrschaftlichen Sitz des Gouverneurs. Auf der äußersten rechten Seite erhebt die ummauerte Hacienda des Arroyo. Vor dieser erneut von Andreas Freichels konzipierten Kulisse begrüßte eine gutgelaunte Geschäftsführerin die zahlreichen Vertreter der unterschiedlichsten Medien- und Pressevertreter. Das diesjährige Budget beträgt stolze 4,8 Million Euro. Rund eine halbe Million Euro wurden dabei in Bühnenbild, -technik und Kostüme investiert. Der außergewöhnlichste Neuerwerb hat jedoch insgesamt acht Beine: zwei neue spanische Rappen für die Blutsbrüder. Hiernach erfolgte wie gewohnt die Überleitung an Regisseur Norbert Schultze jr., der in diesem Jahr zum insgesamt 18. Mal für die Regie verantwortlich zeichnet. Auf diesem Wege wollen wir ihm noch gute Besserung wünschen denn der Ärmste litt erkennbar an den Folgen einer fiebrigen Erkältung.
Die Pressevorstellung wurde mit der dann auch am Samstag zu sehenden ersten Szene des Stücks eröffnet. Zu der von Rainer Schöne (bewährt, bekannt, beliebt – vielleicht die
beste Erzählerstimme die Deutschland besitzt) gesprochenen Einleitung reiten Krieger der Mimbrenjos unter Führung ihres Häuptlings Nalgu-Mokaschi (routiniert Harald Wieczorek) ein. Eher zufällig (Naturvolk das sich in seinen eigenen Jagdgründen nicht auskennt?) stoßen sie an diesem Tag auf die Ruine einer vor Jahrhunderten errichteten Festung spanischer Konquistadoren. Zur allgemeinen Überraschung ist die Festung jedoch alles andere als sagenumwoben und verlassen. Die Indianer sehen sich umstellt von Banditen unter der Führung eines gewissen Player (charismatisch Fabian Monasterios) und Kriegern der verfeindeten Yumas, die von Vete-Ya (agil und bösartig Nico König) angeführt werden. Hier deutet sich bereits an, das jeder der diesen kooperierenden Banden in die Hände fällt als Sklavenarbeiter in einer Mine unterhalb der Festung enden wird. Nalgu-Mokaschi kann diese unheilige Allianz zwischen Rot und Weiß kaum fassen. Doch spätestens als der Kopf der ganzen Verschwörung auftaucht sind alle Zweifel beseitigt: Harry Melton, der Herr der Felsenburg. Es ist der erste Auftritt des diesjährigen Gaststars Jochen Horst und bei allem Respekt vor dem ursprünglich vorgesehenen Karsten Speck: es ist ein hervorragender Auftritt. Bereits nach dem ersten Bild sind wir uns einig, diese Umbesetzung war ein echter Glücksfall für die Karl May Spiele. Horst bringt alles mit was man sich von einem Schurken am Kalkberg wünschen kann. Skrupellosigkeit, Energie, Präsens – ein würdiger Nachfolger für den 2005er Melton-Darsteller Götz Otto. Wie skrupellos und eiskalt er mit Menschen umgeht – das wird hier und jetzt noch nicht verraten, die Spannung und Erwartung hinsichtlich der Premiere soll nicht genommen werden. Ein schönes Eröffnungsbild das in Teilen zwar an die zuletzt gespielte und ebenfalls von Michael Stamp als Autor adaptierte Version des Romans von Karl May erinnerte und doch erfrischend anders wirkte.
Danach moderierte Norbert Schultze jr. das nächste Bild an: die Einführung des jungen unerfahrenen Mimbrenjo Kriegers Yuma-Shetar. Dieser sollte eigentlich von dem bereits aus dem Vorjahr bekannten und so gut angenommenen Max König gespielt werden. Doch wenige Tage vor der Pressevorstellung verunglückte Max König während der Proben. Untröstlich musste er deshalb auf Krücken gestützt heute dem Wirken seiner Kollegen zuschauen. Bis auf Weiteres wird er vertreten von Stuntman Sascha Hödl, der jedoch bereits auf österreichischen Bühnen als Winnetou-Darsteller Erfahrung sammeln konnte. Hödl machte seine Sache in dieser und weiteren Szenen sehr gut und überzeugt nicht nur in den Kampfszenen sondern auch mit seiner klaren und deutlichen Aussprache. Als Yuma-Shetar belauscht er die kämpferische Ansage des Yuma-Häuptlings an seine Krieger. Das die Yumas den unliebsamen Zeugen beseitigen wollen liegt auf der Hand. Aller Widerstand scheint umsonst, die Übermacht der Gegner ist erdrückend. Doch bevor Nico König mit perfidem Spiel dem jungen Indianer die Kehle durchschneiden kann, ertönt ein Schuss und die Klinge wird ihm aus der Hand gerissen. Winnetou! Jan Sosniok reitet in seine sechste Saison und darf sofort eloquent und kampfesmutig die Situation klären. Als auch für den Apachen eng zu werden scheint taucht aus dem Nichts heraus Blutsbruder Old Shatterhand auf und bereinigt die Situation. Für Segeberg Fans eine große Freude, Joshy Peters zum insgesamt zehnten Mal den Henry-Stutzen abfeuernd zu erleben. Von der ersten Minute an herrscht zwischen ihm und Jan Sosniok genau die Harmonie, die man sich bei einem Blutsbrüderpaar wünscht. Wunderbar!
Das dritte Bild präsentiert uns den Einzug eines Auswanderertrecks. Was für ein Bild! Drei bespannte Wagen, eine Fußgruppe mit allerlei Nutzvieh (Esel, Rind, Ziegen, Schafe und eine schnatternde Gänseschar) sowie mehrere Reiter bieten eine echten Hingucker. Selten war eine so große Gruppe von Komparsen, fahrenden Gerät und Tieren im Kalkberg Rund zu erblicken. Hier spielt Regisseur Norbert Schultze alle seine Qualitäten aus, passende Musik und Choreographie. Hier braucht es keine ausgefeilten Dialoge, der Moment spricht für sich. Wir erleben den ersten Auftritt von Judith Silberstein alias Christine Neubauer. Eines vorneweg: Frau Neubauer interpretiert ihre Rolle mit der Perfidität und Bösartigkeit die wir uns vor drei Jahren von Barbara Wussow gewünscht hätten. Gemeinsam mit Jochen Horst ein wahrlich teuflisches Duo. Attraktiv, hinterhältig – besser kann man es wohl kaum machen. In der gespielten Szene liefert sich eiskalt ihren Verlobten Hermann (Stephan A. Tölle – ungewohnt aber erfreulich kämpferisch) ans Messer, präsentiert uns zwei Gesichter wie sie nicht gegensätzlicher sein könnten. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden außer: ihr dürft Euch auf erneut auf bekanntes und doch Neues freuen! Doch nicht nur das Gangster-Paar steht in dieser Szene im Vordergrund. Der Treck muss sich mit Unterstützung von Winnetou und Old Shatterhand auch eines Überfalls der Yumas erwehren. Dabei werden die drei Wagen und diverse Ausrüstungsgegenstände effektvoll zur Verteidigung eingesetzt. Der junge Yuma-Shetar wirft sich dabei todesmutig in die Schußbahn einer auf Winnetou abgefeuerten Kugel und wird schwer verletzt. Ein sehr aufwändiges und schön anzusehendes Bild.
Hiernach belebte sich die Kulisse des mexikanischen Dorfs. Anlässlich des Geburtstages des mexikanischen Staatspräsidenten Benito Juarez wird eine Fiesta abgehalten auf die sich insbesondere der Dorfpolizist Jose Sancho Gonzalez freut. Der übereifrige Beamte wird dargestellt von Patrick L. Schmitz, der sich in den vergangenen Jahren zum Publikumsliebling entwickelt hat. Mit mexikanischen Akzent arrangiert er eine Verkehrskontrolle in die auch prompt sein neuer Vorgesetzter Jurisconsulto (Stephan A. Tölle in seiner zweiten Rolle) hinein tappt. Tölle, selbst mittlerweile zum Kalkberg-Veteran und Allzweckwaffe avanciert, führt den übereifrigen Untergebenen regelrecht vor und peinlich berührt muss dieser hinter seinem Chef ins Büro dackeln – da hat es ich was mit Fiesta. Es folgt der Auftritt von Gastwirt Geronimo (Harald Wieczorek in weiterer Rolle) und seiner Tochter Felisa (Kalkberg Neuling Melanie Böhm). Felisa singt und tanzt während der Fiesta und überzeugt mit einem gefühlvollen Tanz mit Player (Fabian Monasterios). Frisch, unverbraucht und voller Lebensfreude agiert die junge Österreicherin die hier einen effektvollen ersten Auftritt hat. Die hier nun angedeutete tragische Liebesgeschichte zwischen dem Schurken und der Schönen verspricht noch einige weitere spannende Szenen. Die Szene endet mit dem Eintreffen Winnetous und des verletzten Yuma-Shetars.
Als nächstes wird die Felsenburg erneut zum Leben erweckt. Melton und Judith reiten zu der alten Festung wo der Gangster voller Stolz seinen kleines teuflisches Reich
präsentiert. Doch zur Überraschung Meltons ist seine rechte Hand Player nicht anwesend. Als dieser eintrifft und zähneknirschend zugeben muss, bei der Fiesta gewesen zu sein argwöhnt Melton einen Verrat. Mit Hilfe des „Seil des Todes“ wird Player gefoltert, bleibt aber hartnäckig bei seiner Aussage, der treueste Vasall Meltons zu sein. Eine Szene, die stark an die Aufführung von 2005 erinnert aber nichts von ihrer Wirkung verloren hat. Insbesondere das Mienenspiel Christine Neubauers beeindruckt uns hier: Gier, Habsucht, Skrupellosigkeit – eine wahrhaft teuflische Frau die ihrem Gefährten Melton in nichts nachsteht. Zum Abschluss der Szene betont Melton die Notwendigkeit, sich auch in den Besitz der Hacienda des Arroyo zu bringen. Dem Haciendero Don Timoteo Pruchillo (Harald Wieczorek zum Dritten) gehört nämlich der Grund und Boden auf dem sich die Felsenburg befindet – auch wenn er von ihrer Existenz keine Ahnung hat.
Zum Abschluss der Pressevorstellung wurde dann noch der zuvor angedeutete Angriff auf die Hacienda geboten. Die Szene bildet im Stück den Abschluss des ersten Aktes und endet mit der Gefangennahme des Hacienderos, seiner Leute und des Blutsbrüderpaars. „Wie es weitergeht erfahren wir in etwa 20 Minuten“ – so wird es dann am kommenden Samstag zu hören sein.
Wie fällt also unser Fazit aus? Definitiv besser als in den vergangenen Jahren! Ist es das selten gespielte Stück? Sind es die „Neuen“ im Team? Ist es das Wiedersehen mit den „Alten“? Sind es Efekte, Musik oder Action? Natürlich ist es die Gesamtheit aller Eindrücke! Aber insbesondere die Spielfreude und die Überzeugungskraft der Gastdarsteller Horst und Neubauer faszinierten von der ersten Minute an. Wir sind überzeugt, ein abwechslungsreicheres und agileres Stück erwarten zu dürfen als in den Vorjahren – und die endeten mit Rekordergebnissen was den Zuschauerzuspruch anging. Somit sind wir mehr als gespannt auf das, was sich nun 72 mal vor den Augen der Besucher abspielen wird. Wir sind auf alle Fälle dabei! Vamos!