Dürrezeit am Rübenkamp
In einer Zeit des Überflusses ist es das Ungewöhnliche, das unser Interesse und Neugierde weckt. Für Karl May Freunde bedeutet dies in der Bühnensaison vor allem die Vorfreude auf selten aufgeführte Geschichten aus der Feder des sächsischen Autoren. Entsprechend löste die Nachricht, dass „Winnetou II“ endlich wieder auf der wunderschönen Karl May Bühne von Elspe aufgeführt werden sollte, große Begeisterung aus. Doch wie so oft im Leben: die Vorfreude wich der Ernüchterung.
Geschäftsführer, Autor und Regisseur Jochen Bludau hat in den vergangenen Jahren aus seiner Abneigung gegen „Winnetou II“ nie einen Hehl daraus gemacht. Zu unpopulär, zu unattraktiv schien die Geschichte zu sein. Ähnlich wie bei seiner „Halbblut“ Interpretation schien aber auch zu viel an der Figur bzw. dem Darsteller des Parranoh zu hängen. Nach dem Ausscheiden des zur Institution gewordenen Meinolf Pape konnte man wohl auch keinen geeigneten Nachfolger in den eigenen Reihen finden. Doch in diesem Jahr sollte sich dies ändern. Sebastian Kolb, der sich in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichen Rollen in Elspe positionieren konnte, wurde zum „Weißen Häuptling“ erkoren. Er sollte Winnetous große Liebe, Ribanna, meucheln und sich damit den ewigen Hass des Apachen zuziehen. Erst zwei Mal wurde diese Geschichte in Elspe aufgeführt und beide Aufführungen sind mit Erinnerungen an Pierre Brice und wahrscheinlich noch mehr an Meinolf Pape verbunden. Pape, der wie kaum ein anderer in über 30 Jahren Mitwirkung zur Identifikationsfigur der Bühne wurde hinterlässt bis heute einen großen Schatten. Elspe kann bekanntlich mit einigen Pfunden wuchern, von denen andere Veranstalter nur träumen können:
– Die Bühne an sich: in Dimension und Anlage fantastisch, der überdachte Zuschauerraum bis heute einzigartig, ein Erlebnis für Besucher und Darsteller.
– Die Pyrotechnik: dort kann man es noch richtig krachen lassen, brennende Ölmassen, hervorquellende brennende Lava, tausende Schuss Munition.
– Ein Umfeld mit Westernstadt, Rahmenprogramm, Show-Halle: ein volles Tagesprogramm für Besucher welches kaum Wünsche offen lässt.
– Ein charismatisches eingespieltes Blutsbrüder-Paar, erfahren, souverän im gemeinsamen Spiel.
Doch leider wurden unsere Erwartungen nicht erfüllt und erneut müssen wir feststellen, dass die Aufführung selber nur fade Hausmannskost statt mehrgängiges Menü bietet.
Die gesamte Aufführung wirkt in weiten Teilen wie eine lose mit einer Rahmenhandlung verbundene Aneinanderreihung vielfach bekannter Szenen und Elemente. An Stelle großer Gefühle und starker Auftritte eines harmonischen Blutsbrüder-Paares konnten verstaubte und überholte Komik- und Actionmomente nur mäßig begeistern. Der Stil der Inszenierung und die grobschlächtigen Dialoge atmen zutiefst den Geist der 70er und 80er Jahre. Der heutigen Erwartungshaltung des Publikums entspricht dies nur noch wenn dieses sehr jung (und naiv) oder aber so alt ist, dass sein Blick durch eigene nostalgische Erinnerungen verklärt ist. Schade, hier wurde eine große Chance vertan. Getragen wird die Aufführung im Wesentlichen von vier Personen: Winnetou (Jena-Marc Birkholz), Old Shatterhand (Kai Noll), Parranoh (Sebastian Kolb) und Lord Castlepool (Markus Lürick). Aber alle vier Darsteller bleiben angesichts eines schwachen Textbuchs unter ihren Möglichkeiten. Wir wollen diese Eindrücke an einigen Szenen festmachen.
Zu der traditionell im Opening verwendeten Chinla-River Melodie von Martin Böttcher leitet die Erzählerstimme Jochen Bludaus die Geschichte ein. Aus den Tipis treten Männer und Frauen vom Stamm der Assiniboins hervor. Häuptling Tah-scha-tunga nimmt sich der Sorgen und Nöte seines Volkes an: „Mein Pferd lahmt…“ In dieser ersten Szene werden dem Betrachter bereits die Schwächen der Elsper Inszenierung bewusst: die Frauen, Kinder und Krieger der Assiniboins nehmen feste Positionen ein und reihen sich wie Orgelpfeifen auf, um den Worten des Häuptlings zu lauschen (kommt der Dialog von diesem vom Band? Es scheint fast so…). Ist es selbst bei kleineren Bühnen längst üblich, die Komparsen mit alltäglichen Arbeiten des Lagerlebens zu beschäftigen, so stehen die Elsper Komparsen wie Salzsäulen herum. Leider gilt dasselbe auch für die Reiterkomparsen. Selbst der Aufforderung, die Krieger mögen ihre Kunstfertigkeit zu Pferde beweisen, kommen diese eher gelangweilt mit sinnlosen Hin- und Hergereite nach. Dabei führt kein Krieger irgendeine für die Jagd geeignete Waffe, reiterische Kunststücke bleiben Mangelware. Begleitet wird dies mit einer heiteren Musik aus den Kompositionen Martin Böttchers – unpassender kann eine musikalische Untermalung für eine Szene im Indianerlager kaum ausfallen. Fazit: das große Bild wirkt unvollkommen und unmotiviert. Als nächstes führt uns die Erzählerstimme von Ex-Old Shatterhand, Autor und Regisseur Jochen Bludau zur Hütte Ribannas. Wir erfahren, dass diese einen gewissen Old Firehand geheiratet hat, um den Frieden zwischen Weiß und Rot zu stabilisieren. Kurz hintereinander treffen nun die zur Jagd aufgebrochenen und immer noch unbewaffneten Assiniboins ein, dann eine Postkutsche deren Fahrer mit laienhaft vorgetragenen Text (kommen der auch vom Band?) Klatsch, Tratsch, Lebensmittel und Pfeil & Bogen für den kindlichen Harry ausliefert sowie als Höhepunkt Winnetou, der Häuptling der Apachen ein. Zack, zack, zack. Wo liegt der Sinn des Postkutscheneinsatzes? Na ja, man hat halt eine und will sie zeigen. Erneut wirkt der Dauereinsatz von Musik eher störend. „Hilf mir das Vieh füttern!“, weist Ribanna ihren Sohn an und begleitet wird die Szene mit der bereits zuvor gespielten Saloon-Musik. Diese will auch nicht enden als die Krieger der Assiniboins einreiten. Der schnelle Motivwechsel beim Einfahren der Kutsche wirkt desgleichen in Tempo und Art unpassend. Musik und Bild wirken unharmonisch. Es fehlt leider am Gefühl für die Stimmungslage und Tempo. In dieser Aneinanderreihung von für die Handlung unnötigen Auftritten stellt Winnetous Erscheinen den einzig konstruktiven Beitrag dar. Jean-Marc Birkholz wirkt erhaben und stolz wie man sich den Häuptling der Apachen nur wünschen kann. Doch leider verpufft seine Wirkung durch zwei Faktoren: erstens gerät sein Auftritt eher kurz (weil zuvor ja Assiniboins und Kutscheneinsatz wertvolle Zeit verbrauchte). Zweitens gleicht der Dialog eher einer Verkaufssituation rund um einen Privatkredit: „Old Firehand gibt sich viel Mühe, meiner Schwester ein sorgloses Leben zu bereiten.“ „Ja, er tut alles für Harry und mich. Aber wenn er fort ist….“ „..fehlt es Dir an Geld. Um das Nötigste zu kaufen.“ Spontan übergibt Winnetou Ribanna eine Handvoll Nuggets. Dann zieht es den edlen Apachen bereits von dannen denn „…die Mescaleros haben mich um Hilfe gebeten. Von Westen her sollen weiße Banditen in ihr Land eingedrungen sein. Ich werde bald zurück sein.“ Sind die Mescaleros nicht Winnetous ureigendster Stamm dessen Häuptling er ist? Von denen wird er um Hilfe gebeten? Doch von dieser Unplausibilität abgesehen kommt in keinem Moment das Gefühl auf, dass Winnetou hier der ultimativen Liebe seines Lebens gegenüber steht. Eine vergebene Chance für den charismatischen Birkholz, der aus dieser Szene gewiss einen emotionaleren Moment hätte machen können. Stattdessen erscheint aus dem Nichts heraus ein Fremder in Uniformjacke der ohne weitere Worte nach etwas zu Trinken verlangt. „Hallo!“, „Hallo, los bring mir etwas zu trinken.“ „Gerne.“ Noch bevor Ribanna die Hütte betreten kann, fordert der Fremde sie zum Innehalten auf. Aus der Distanz heraus hat er bereits das Gold erkannt, welches Winnetou erst Minuten zuvor Ribanna übergeben hat. Die Ereignisse überschlagen sich, Ribanna und der Fremde verschwinden in der Hütte, Hilfeschreie ertönen, Feuer bricht aus, Winnetou reitet heran, taumelt mit dem Fremden aus der Hütte, verletzt ihn, eilt wieder in die langsam in sich zusammenbrechende Hütte und rettet Harry. Der Angreifer nutzt die Gelegenheit zur Flucht. Für Ribanna kommt jedoch jede Hilfe zu spät. Während sich die Hütte in Wohlgefallen auflöst, schreit Winnetou voller Schmerz den Namen Ribannas hinaus. Ohne Harry besonders zu würdigen spricht der Apache, der sich schnell gefangen hat, seinen Racheschwur. All dies sind Versatzstücke, die schnell und überhastet aneinander gereiht werden. An diesem Eindruck kann auch der Einsatz von Vorzeige-Winnetou Jean-Marc Birkholz nichts ändern.
Der nun folgende mehrjährige Zeitsprung wird durch einen ausführlichen Erzählertext gefüllt. Aber auch die folgende Momente können den Zuschauer nur bedingt gefangen nehmen. Die Szenen rund um die Farm von Mutter Walter zeigen uns den pubertierenden Harry und eine Gänseschar. Ansonsten wirkt die große Farm wie ausgestorben. Auch in diesem Bild macht sich ein eklatanter Mangel an Statisten bemerkbar. Ähnlich wie im Indianerlager ist vom Alltag der eine solche Farm beherrscht nichts zu erkennen. Ein erster Auftritt Old Shatterhands der eher zufällig auf Harry trifft verläuft ebenfalls erschreckend unspektakulär. Dafür treffen Reisende mit der (unvermeidbaren) Postkutsche ein. Zuerst entsteigen dem Gefährt die drei Westmänner Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker. Überraschend führt jedoch nur Sam Hawkens eine Waffe. So erinnert das „Kleeblatt“ eher an eine reisende Seniorengruppe. Insgesamt beherrscht die dramaturgische Routine das Bild. Als Running Gag seit mehreren Jahrzehnten bekannt „spuckt“ die Kutsche eine überraschend hohe Anzahl von sich krümmenden ächzenden Revolvermännern aus. Die Lacher im Publikum sind eher verhalten angesichts dieser wahrlich nicht neuen Idee. Insgesamt wirken die Dialoge und das Spiel der Akteure langatmig und uninspiriert. Das Eintreffen Old Shatterhands lässt die Hoffnung auf eine Temposteigerung aufkommen. Aber leider wirkt auch die folgende Actionsequenz wie ein abgezählter Kinderreim. Beschaulich und gemächlich wählt Old Shatterhand ohne Hast die Requisiten aus, die er der Reihe nach auf Rücken und Schädel der nacheinander antretenden Angreifer zerschlägt. Kai Noll wirkt in diesen Momenten deutlich unterfordert und erhält in der Folge auch keine Gelegenheit, sich besonders auszuzeichnen oder der Inszenierung einen besonderen Stempel aufzudrücken. Wie leicht wäre dies möglich gewesen! Bereits der Roman liefert mit einer spektakulären Rettung Harrys die entscheidende Vorlage. Aus einer solchen Rettung heraus hätte sich dann auch eine Dialogkonstellation mit Winnetou ergeben, in dem dieser dem Blutsbruder die eigene unglückliche Liebesgeschichte offenbart. Chancen über Chancen – die man alle zu Gunsten einfacherer in jeder Aufführung verwendbarer Handlungselemente hat verstreichen lassen. Neben den Blutsbrüdern sind die Figuren Parranoh und Castlepool entscheidend für den Gesamteindruck. Sebastian Kolb präsentiert uns einen soliden Schurken dem das Textbuch aber leider ebenfalls die großen schauspielerischen Momente versagt. Wie sehr hätten wir uns hier ein intensiveres erfolgloses Werben um Ribanna gewünscht aus dem sich dann der ganze frustrierte Hass auf Winnetou und Ribanna entlädt. In noch schlimmeren Maße trifft es Markus Lürick. Der vielseitig verwendbare Schauspieler gibt einen prächtigen schottischen Tambour ab und schwingt den Paradestock virtuos. Aber diese Moment verpufft angesichts der vielfachen Wiederholungen des Auftritts und seine Dialoge sind eher Witz arm als unterhaltsam. So kann dieses Quartett leider auch keine Akzente setzen, die die Aufführung aus dem Mittelmaß herausheben könnten.
Würden wir in dieser Ausführlichkeit fortfahren, so würden wir bequem eine zweistellige Seitenzahl füllen können. Doch die eigentlichen Kritikpunkte bleiben immer die Gleichen:
– Oberflächliche Dialoge die eine dünne Geschichte beinhalten
– Unterforderte Hauptdarsteller die keine Gelegenheit haben, eine der emotionalsten und abwechslungsreichsten Geschichten Karl May auszufüllen
– Komik, die angestrengt und veraltet wirkt. Revolvermänner die sich vollbärtig als Siedlerinnen „tarnen“, ein Sam Hawkens der in übertrieben langsamen Schritten „schleicht“. Die wiederkehrenden Auftritte der schottischen Marschkapelle wirken mit fortlaufender Handlung langweilig und störend.
– Actionelemente die vertraut und häufig eher behäbig scheinen.
– Bildaufbau und –gestaltung die jede Lebendigkeit vermissen lassen. Neben den Momenten im Indianerlager und auf der Farm tritt dies im Siedlercamp noch einmal ganz deutlich hervor. Eine Handvoll Siedler die mehr oder weniger unbeteiligt beobachten, was um sie herum passiert und geschieht. Keine aktive Mitwirkung, keine besondere Gefühlsregung. Schurken, Betrüger, schottische Dudelsackbläser, Explosion – all dies löst kaum eine Reaktion in der Komparserie aus.
In der Summe bleibt die Erkenntnis, dass eine Aufführung in Elspe eigentlich nur der Schlusspunkt eines umfänglichen Tagesprogramms bleibt. Dem Theater- und Karl-May Freund wird Durchschnittskost geboten die nur in wenigen Fällen über das hinausragt, was man auch auf kleineren und schmaler budgetierten Bühnen erleben kann. Der Mut zum Risiko, die Investition in ein neues Buch, neue Ideen und eine dynamischere Regie sind auch in diesem Jahr ausgeblieben. Wenn man sich mit dem Bestehenden zufrieden gibt so wird man auch in der Zukunft einen gewissen Zuschauerzuspruch ernten aber Geschichte wird so nicht mehr geschrieben. Schade.
ah; Troisdorf,Lennestadt
Bilder: Marvin Pauleikhoff