Pure Leidenschaft! „Der Ölprinz 2.0“ in Mörschied
Aus der Ferne dringen Glockenschläge an mein Ohr, das Geräusch summender Insekten und das Gezwitscher der Vögel aus den im Wind rauschenden Ästen hoher Bäume. So fühlt sich ein Sonntagmorgen auf der menschenleeren Bühnenanlage der Karl May Festspiele von Mörschied an. Hinter mir liegt ein abendlicher Besuch der Aufführung von „Der Ölprinz 2.0“. Der ungewöhnliche Zusatz in der Titelbeschreibung ist dem Umstand zu verdanken, dass man nach der Corona bedingten Absage der eigentlich vorgesehenen „Halbblut“ Aufführung mit viel Energie und Einsatz eine Wiederholung der letztjährigen „Ölprinz“ Inszenierung organisieren konnte.
Seit dem 05. September können Besucher die Machenschaften des betrügerischen Ölprinzen auf der Mörschieder Freilichtbühne verfolgen – angepasst und orientiert an den notwendigen Vorgaben zum Schutz der Beteiligten und der Besucher. Eine Leistung, die angesichts der vielfältigen Einschränkungen und Verordnungen nicht hoch genug zu werten ist. Das Konzept erdacht hat sich Alexander Klein, der dazu permanent mit den Behörden in Kontakt stand. Was einst als Freizeitprojekt einiger weniger Karl May und Pferde Enthusiasten begann, darf heute als Vorbild zur Umsetzung eines Theaterprojekts dienen. Natürlich immer in dem Wissen, dass kein Mitwirkender seinen Lebensunterhalt aus dem Theaterbetrieb verdienen muss. Kostendeckend muss die aufwändige Produktion trotzdem kalkuliert sein – und das gelingt den Verantwortlichen. Die unbedingte Voraussetzung für das Projekt Mörschied ist Leidenschaft! Leidenschaft zu den Abenteuern Karl Mays, Leidenschaft in der Gestaltung und Pflege der Spielfläche, Leidenschaft in der Umsetzung und Realisierung einer Aufführung. Diese Leidenschaft ist bei jedem einzelnen Mitwirkenden vor oder hinter der Bühne spürbar und erlebbar. Egal ob es sich um eine kurze oder gar zufällige Begegnung am Rande des Geschehens handelt oder in einem ausführlichen direkten Gespräch mit einem Darsteller. Faszinierend ist, dass sich diese Leidenschaft durch mehrere Generationen hat weiterreichen lassen. Denn es ist ein gemeinnütziger Verein, der als Träger und Veranstalter der Karl May Festspiele dient. Jedes Mitglied erfüllt im Alltag seine eigene wichtige Tätigkeit, sei es im Berufsleben und im Rahmen der Familie und deren Betreuung. Nach der ersten Enttäuschung über die abgesagte Spielzeit stellte man sich im Verein mit einem gewissen Trotz und der nötigen Entschlossenheit der Herausforderung, unter Wahrung aller Vorschriften dennoch eine Karl May Aufführung im Spätsommer (der bereits früher als Veranstaltungszeitraum genutzt wurde) auf die Beine zu stellen. Desinfektionsmöglichkeiten an jeder Ecke, Hinweisschilder und Bodenmarkierungen die in nicht zu übersehender Anzahl auf Abstandswahrung hinweisen (und wer nicht lesen kann oder will wird charmanten maskenbewehrten jungen Damen um Einhaltung der Regeln gebeten. Auf der Tribüne ist nur jede zweite Sitzreihe buch- und belegbar, zwischen dem oder den jeweils gebuchten Plätzen verbleibt immer eine freie Position. Fazit: die Veranstalter haben ein Maximum an Vorsicht bei einem gleichzeitig maximalen Verzicht an Einkünften walten lassen. Die Tribüne kann nur mit ca. 30% der üblichen Auslastung besetzt werden was aber für den Verein zu einem wirtschaftlich akzeptablen Ergebnis führt.
Die notwendigen Schutzmaßnahmen wirken sich auch auf die Aufführung aus. Der Einsatz der wunderbaren Original getreuen mehrspännigen Postkutsche ist genauso wenig erlaubt wie der Einsatz der Planwagen. Die deutschen Auswanderer betreten daher zu Fuß und mit Handkarren die Bühne – was den Eindruck verarmter und notdürftig ausgestatteter Immigranten noch erhöht.
Zweikämpfe werden reduziert und teilweise unter Nutzung von Distanzwaffen präsentiert. Auch hier versucht man, einen gewissen Abstand als Schutzmaßnahme für die Darsteller zu gewährleisten. Ein Höchstmaß an Regelkonformität: die Teilnehmer eines wichtigen Zweikampfes stammen aus einer Haushaltsgemeinschaft. Respekt!
Doch nun genug der organisatorischen Rahmenbedingungen. Was gab es zu sehen? Auf der beeindruckenden Naturbühne vor rauschenden Wäldern gelegen wurde eine sehr Karl May nahe Inszenierung präsentiert, die in Teilen Romangetreue Dialoge beinhaltete. Leider geriet man damit in den Konflikt, die weitläufigen Erläuterungen und Erklärungen des Schriftstellers auch wortgetreu zu verwenden. Die Gesamtlänge der Aufführung war insbesondere bei fallenden abendlichen Temperaturen ein Manko. Die ein oder andere Kürzung der Textvorlage hätte zügigere Bildwechsel und insgesamt ein höheres Spieltempo ermöglicht. Zu Gute halten darf man, dass viele Figuren des Romans auch in der Inszenierung Berücksichtigung finden.
Allen voran das Blutsbrüdergespann, verkörpert von Eric Nisius (Winnetou) und Hans Joachim Klein (Old Shatterhand). Letzterer ist als 1. Vorsitzender im wahrsten Sinne ein Mann der ersten Stunde. Leider merkt man seinem Spiel auch die jahrzehntelange Mitwirkung an. Überschattet wurde seine Darbietung von einer Verletzung im Zweikampf mit seinem Sohn Alexander Klein (Mokaschi). Vielleicht ein Fingerzeig des Schicksals, den Henry Stutzen in die Ecke zu stellen. Eric Nisius war somit im letzten Drittel der Aufführung gezwungen, die Dialoganteile Kleins mit zu übernehmen und die Dialoge zu improvisieren. Eine Herausforderung die Nisius ebenso gut meisterte wie auch alle anderen Auftritte als edler mutiger Häuptling aller Apatschen. Nisius interpretiert seine Häuptlingsrolle mit königlicher Würde Alexander Klein gelingt eine kraftvolle Verkörperung des kriegerischen Häuptlings Mokaschi. Als echte Entdeckung darf jedoch Benny Engel gelten, der in wahrhaft indianisch stolzer Art Mokaschis Gegenspieler Nitsas-Ini verkörpert. Auch wenn Engel eigentlich zu jung für die Rolle ist, so verkörpert er sie trotzdem mit klarer Stimme, Haltung und emotionalen Variationen. Da war uns wohl ein Blick auf die nächste Generation Mörschieder Lokalmatadoren gelungen. Die Titelfigur wurde von Marcel Gillmann verkörpert, der auch als Autor und Regisseur fungiert. Seine Interpretation des charismatischen Edelschurken blieb leider hinter den Erwartungen zurück. Vielleicht waren es die vielen Auftritte zu Fuß, die den Gesamteindruck eines eher harmlosen Banditen im edlen Zwirn entstehen ließ. Außerdem hatte er in der Rolle des „Buttler“ einen famosen „Co-Banditen“ zur Seite, der dem Oberschurken ein wenig die Show stahl. Nicht unberücksichtigt sollte allerdings bleiben, dass unter den gegebenen Umständen und einer verkürzten Probenzeit die Mehrfachbelastung gewiss nicht ohne Einfluss auf die Spielleistung blieb. Bedeutend stärker blieb da das Spiel des erstmals an der Mörschieder Bühne auftretenden Marcus Jakovljevic in Erinnerung. Jakovljevic, der in der Vergangenheit bereits Karl May Erfahrung auf der Bühne von Burgrieden sammeln konnte, verkörperte kraftvoll und dynamisch und den Halbbruder des Ölprinzen, den Mann fürs Grobe. Mit seiner kräftigen und klaren Aussprache, seinem körperbetonten Spiel und einem unterschwelligen Humor verlieh er der Figur des Buttler nachhaltige Glaubwürdigkeit. In den weiteren Rollen konnte insbesondere die Interpretation der Witwe Rosalie Ebersbach durch Marlis Doehring gefallen. Resolut führt sie das Regiment über eine Gruppe deutscher Auswanderer wie direkt aus dem Roman entsprungen. Ähnlich ambitioniert wirkt die Leistung von Lars Lichtenberger als Kantor Hampel (Emeritus). Leider verschleißt er sich etwas in unzähligen austauschbar wirkenden Auftritten die zumeist dazu dienen, die Übergänge zwischen wichtigeren Handlungssträngen zu schließen. Hinzu kommt, dass der dargestellte Humor zwar sehr Romangetreu ist aber dem heutigen Humorverständnis nur bedingt entspricht und damit eine Hypothek des Textbuchs ist. Niklas Worst obliegt es, den kauzigen Scout Sam Hawkens darzustellen. Dies gelingt jedoch nur bedingt. Einerseits darf er sich in seiner ersten Szene erfolgreich im Wettschießen mit Bandit Buttler messen. Andererseits muss er sich danach mit seiner Funktion als Mitläufer und Stichwortgeber zufrieden geben. In seiner Interpretation des Westmanns überzieht Worst mehrfach und kann durch sein Spiel seine Jugend gegenüber dem deutlich älteren Old Shatterhand kaum verbergen. Die Altersstruktur des Romans wird also für den Zuschauer überdeutlich auf den Kopf gestellt. Noch deutlicher wird dies in der Besetzung des Bankiers Rollins (Junior). Mit viel Spielfreude wird die Rolle von Sully Dreher verkörpert. Dabei muss er von einem tollpatschigen Auftritt in den nächsten stolpern und darf sich nur in Plattitüden und oberflächlichen Dialogen versuchen. Dreher gelingt es, sein darstellerisches Potenzial anzudeuten und kann gewiss auch als Darsteller mit Zukunft für die Mörschieder Bühne betrachtet werden. Und doch hat der junge Mann an diesem Abend eine liebenswerte Anekdote mitgestaltet. Im Abschlussbild war Winnetou Eric Nisius gezwungen, in Abwesenheit des verletzten Old Shatterhand Darstellers Hans Joachim Klein dem geretteten Bankier das gestohlene Eigentum zurückzugeben. „Habt Dank, Mr. Shatterhand!“, antwortete Dreher buchgemäß – nur um dann zu realisieren, dass der benannte Old Shatterhand ja gar nicht vor ihm stand. Winnetou Erik Nisius hatte mit dem Kommentar „Das Bleichgesicht hat einen Schlag auf den Kopf bekommen.“ die Lacher auf seiner Seite. Angelika Dreher (irische Wirtin Mrs. Patty) und Megan Scholz (Kavallerie Major Grant) kamen nur zu kurzen unauffälligen Auftritten.
Unabhängig von den beobachteten Spielleistungen bleibt der Eindruck eines hochmotivierten und begeisterten Teams. Umrahmt wird die Ensembleleistung von den herrlichen Pferden, den liebevoll vielfältigen Kostümen und einem kraftvollen Einsatz von Schusswaffen und Pyrotechnik. Wenn es in Mörschied rumst dann aber richtig! Musikalisch wird dem Publikum ein breites Potpourri bekannter Melodien unterschiedlichster Hollywood Produktionen und Böttcher Kompositionen geboten.
Als Fazit halten wir fest: für den Karl May ist die Bühne von Mörschied eine Reise wert. Ambitioniert und motiviert wird dem Zuschauer eine Roman getreue Inszenierung geboten. Dass in Schauspiel und Darstellung noch Steigerungspotenzial besteht, kann kaum verwundern. Aber dessen sind sich die Verantwortlichen auch bewusst und man sucht nach Wegen, dieses Potenzial in den nächsten Jahren zu heben. Uns bleibt vor allem der Dank für eine Veranstaltung, die in ihrer Organisation und Ablauf auch dem zögernden Besucher in den Tagen von Corona Mut macht, sich dem Theatervergnügen hinzugeben. Kapitulation vor dem Virus? Nicht in Mörschied!