Die Anfänge der Bühne
Wie es in Bischofswerda seit 2002 Tradition ist, gab es auch diesmal zwei inhaltlich nahezu identische Inszenierungen. Zum einen waren die Kinder die Hauptakteure, zum anderen Jugendliche und junge Erwachsene, welche die Sprechrollen übernahmen.
Gewöhnlich sind jeweils etwa 80 Darsteller auf der Bühne, wobei die Hauptdarsteller der einen Fassung in der jeweils anderen als Statisten oder in kleinen Rollen fungieren. Diesen Sommer waren es einige weniger.
Durch das große Engagement aller Beteiligten fand am 4. Juli 2021 nach kürzerer Probenzeit als gewöhnlich die doppelte Premiere des 2007 zum ersten Mal auf der Waldbühne Bischofswerda inszenierten Stückes „Unter Geiern – Der Geist des Llano Estacado“ statt. Es basiert auf einer Jugenderzählung des sächsischen Schriftstellers Karl May, die 1888 in der Zeitschrift „Der Gute Kamerad“ veröffentlicht wurde. Das der Inszenierung zugrundeliegende Textbuch stammt diesmal von Dieter F. Gottwald, der bisher noch sechs weitere Textbücher geschrieben hat.
Zur Story
1854: Die berüchtigte Geierbande ist der Schrecken des Llano Estacado und hat durch das Umstecken der Markierungspfähle bereits vielen Menschen, die sich deshalb in der menschenfeindlichen Wüste verirrt haben, einen qualvollen Tod beschert. Zu ihren Opfern gehört auch die deutsche Auswandererfamilie Fox (Fuchs), von denen sich die Geier reiche Beute erhoffen. Die Eltern werden von ihnen gnadenlos erschossen, ihrer Ersparnisse beraubt und deren kleiner Sohn schwer verwundet zurückgelassen, glücklicherweise aber von den Komantschen, die ihn noch rechtzeitig finden, zu der deutschen Familie Helmers gebracht, die am Rande des Llano Estacado eine Farm besitzt.
1866: „Noch immer treibt die Geierbande ihr Unwesen. Die Regierung der Vereinigten Staaten kommandiert deshalb Truppen an den Llano Estacado, um ihnen das Handwerk zu legen. Leider vergeblich. Die Wildnis bietet den Verbrechern hinreichend Schutz vor Entdeckung.“
(Erzählertext)
Der junge Komantschenkrieger Makin wird wegen des Goldes, das er mitführt, von den Geiern überfallen, doch ein mit einem Büffelkopf maskierter Reiter kommt ihm zu Hilfe und tötet einen der Banditen mittels eines Schusses in die Stirn. Das so gerettete Gold ist für Schiba-bigk, den Sohn Häuptling Tevua-schohes bestimmt, der zusammen mit seinem Vaters zu den Weißen reiten soll, um mit diesen zu verhandeln und dadurch seinem Stamm den Weg in die Zukunft zu ebnen.
Währenddessen trifft der aus Sachsen stammende Westmann Hobble-Frank auf den jungen Bloody Fox, dessen Gesicht eine blutige Narbe ziert, auf deren Ursprung er sich nicht mehr besinnen kann. Nur der Name Fox ist ihm in Erinnerung geblieben. Einen Mann gleichen Namens sucht auch Hobble-Frank, ist aber von der Rechtschaffenheit seines Gegenübers überzeugt und begleitet diesen nach Helmers‘ Home.
Die Geierbanditen, zu denen neben ihrem Anführer Henry Fox und einigen anderen Weißen auch die beiden Halbblüter Kihi Wak und Kangi Dahiku gehören, die sich durch besondere Skrupellosigkeit auszeichnen, planen indes einen weiteren Coup. Sie haben von einem Treck aus Coleman City erfahren, der durch den Llano nach Arizona unterwegs ist, um dort Land zu kaufen. Fox beschließt, sich als Prediger Tobias Preisegott Burton auszugeben, um die Siedler von Helmers‘ Home aus durch den Llano zu führen, wo seine Leute sie durch die umgesetzten Markierungspfähle in die Irre leiten sollen. Dabei kommen ihnen der Komantschenhäuptling Tevua-schohe und sein Sohn Schiba-bigk unerwartet in die Quere. Henry Fox hetzt die beiden Halbblüter auf die Krieger.
In dem nun folgenden Kampf werden Tevua-schohe erschossen und dessen Sohn niedergeschlagen und verletzt. Weitere sich nähernde Krieger treiben die Geier in die Flucht, sehen sich dann aber gezwungen, sich um ihren toten Häuptling zu kümmern. Schiba-bigk schwört allen Weißen Rache.
Winnetou und sein Blutsbruder Old Shatterhand, die wieder aufeinandertreffen, erraten anhand der gefundenen Spuren, was sich im Llano zugetragen hat und beschließen, Schiba-bigk aufzusuchen und die Bewohner von Helmers‘ Home zu warnen. Letztere erhalten indessen Besuch von zwei weiteren Westmännern, dem Langen Davy und dem ewig hungrigen Dicken Jemmy, die dort auf ihren Freund Hobble-Frank und den ihn begleitenden Bloody Fox treffen.
Als kurz darauf der als Prediger Burton verkleidete Henry Fox zu Fuß auf der Farm eintrifft, werden nicht nur die drei Westmänner, sondern auch Bloody Fox misstrauisch. Burtons Kumpan Benyon erscheint wenig später in der Verkleidung eines Captains der US-Army ebenfalls auf der Farm, um seinen Boss heimlich darüber zu informieren, dass die Pfähle wie geplant umgesteckt worden sind. Doch der falsche Offizier wird sofort von Old Shatterhand entlarvt und niedergeschlagen. Wieder zu sich gekommen, wird er von Bloody Fox wegen eines gestohlenen Revolvers zur Rede gestellt, während Old Shatterhand die Bewohner von Helmers‘ Home vor den sich auf dem Kriegspfad befindenden Komantschen warnt.
Die beiden, sich zunächst in Sicherheit wiegenden Geierbanditen besprechen indes ihr weiteres Vorgehen, werden dabei aber von Emily belauscht. Bevor diese ihr Wissen weitergeben kann, taucht mit einem Male der geheimnisvolle Geist des Llano Estacado auf und tötet den verräterischen Benyon mit einem Schuss in die Stirn. Die anschließende Verwirrung nutzt der falsche Prediger zur Flucht. Er beabsichtigt, die Siedler am Cedar Creek abzufangen, doch da Old Shatterhand dieser Plan dank Emily bekannt geworden ist, beschließt der Deutsche, sich mit seinem Blutsbruder Winnetou zu treffen, um den Siedlern zu Hilfe zu kommen.
In der Zwischenzeit wird Häuptling Tevua-schohe im Lager der Komantschen feierlich beigesetzt. Der hinzukommende Winnetou warnt den nach Rache dürstenden Schiba-bigk vor unbesonnenen Taten, stößt dabei aber auf taube Ohren. Nur Ai-Yana ermahnt ihren Bruder zur Besonnenheit, doch auch auf sie hört er nicht, sondern droht erneut allen Weißen den Tod an.
Nach und nach spitzt sich die Lage zu. Henry Fox trifft auf seine restlichen Leute und macht sich dann auf den Weg, um die Siedler abzufangen. Gleichzeitig sind die Komantschen zu ihnen unterwegs, um sich für die Ermordung Tevua-schohes an den Weißen zu rächen. Doch der Geist des Llano Estacado hilft den Siedlern, deren Wasservorräte vernichtet worden sind, mit frischem Wasser aus, verzichtet aber noch darauf, die anwesenden Banditen zu entlarven. Deren Komplizen überfallen die Siedler, doch nun ist es Zeit für den Geist, die vor ihm fliehenden Geierbanditen ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Doch die Gefahr ist noch nicht vorüber, denn nun werden die Siedler von den heranstürmenden Komantschen gefangen genommen und mit dem Martertod bedroht. Erst ein Zweikampf Old Shatterhands mit dem von ihm überwältigten jungen Komantschenhäuptling lässt diesen auf seine Rache an den Siedlern verzichten und sagt ihnen stattdessen die Hilfe seines Stammes zu. Nun gilt es nur noch, die übrigen Geier, allen voran den falschen Prediger zu entlarven, und den Siedlern die gestohlenen Wertsachen zurückzubringen…
Zur Besetzung
Das Blutsbrüderpaar wurde auch in diesem Jahr mit spielerfahrenen Akteuren besetzt. Serdar Reitner (19, Jugendbesetzung) und Jan Teichert (12, Kinderbesetzung) hauchten dem berühmten Apachenhäuptling zum 8. bzw. 2. Mal Leben ein. Dessen weißen Blutsbruder verkörperten bei der Jugend das 4. Jahr in Folge Jakob Seim und zum zweiten Mal der 14-jährige Benjamin Boden in der Kinderbesetzung.
Ben Hänchen, der seit Bestehen der Karl-May-Spiele in Bischofswerda (damals fünf Jahre alt) dort auf der Bühne steht und neben Winnetou auch Old Shatterhand und Old Firehand dargestellt hat, bevorzugt inzwischen die Rollen der Bösewichte und spielte einen solchen daher auch im diesjährigen Stück. Als scheinheiliger Prediger Tobias Preisegott Burton war er ebenso überzeugend wie der hinterhältige, skrupellose Henry Fox, der sich hinter diesem verbarg und auch vor Mord nicht zurückschreckte. Als sein Pendant in der Kinderbesetzung fungierte – erstmals in einer Hauptrolle – der bühnenerfahrene Tristan Amadeus Gründer.
Uwe Hänchen selbst ließ es sich nicht nehmen, in seiner 28. Inszenierung als Komantschen- Häuptling Tevua-schohe zu agieren und einen frühen Bühnentod zu sterben.
Der langjährige Old Shatterhand-Darsteller Richard Otto (von 2013 bis 2019) schlüpfte diesmal in der Jugendbesetzung in die Titelrolle als geheimnisumwitterter Geist des Llano Estacado. In der Kinderbesetzung war als solcher Michel Beuther (14) zu sehen, der bereits seit 2011 in Bischofswerda mitspielt und das Publikum beispielsweise als gewitzter Westmann Sam Hawkens begeisterte.
Immer wieder faszinierend ist es, Moritz Lehmann auf der Bühne zu erleben. Der inzwischen 28-Jährige spielte von 2006 bis 2012 den Apachenhäuptling Winnetou, bevor er sich auf das Kampftraining mit den jüngeren Darstellern konzentrierte und kleinere Rollen übernahm. 2014 stellte er als völlig überdrehter Fiesling Tim Finnetey alias Parranoh seine schauspielerische Wandlungsfähigkeit ebenso wie sein kämpferisches Geschick unter Beweis. Als skurriler Lord Castlepool versuchte er sich 2017 im „Schatz im Silbersee“, wechselte dann aber wieder ins Indianerfach, um 2018 als Häuptlingssohn Pida in beiden dem Blutsbrüderpaar das Leben schwerzumachen und sich mit William Hartmann einen grandiosen Zweikampf zu liefern.
Die Rolle des Wokadeh folgte 2019 in „Der Sohn des Bärenjägers“ und diesen Sommer war er in der Geierbande in einer kleinen Rolle als skrupelloses Halbblut Kihi Wak an der Seite von Ella Giesecke als Halbblut Kangi Dahiku zu sehen.
Die Liste der Darsteller könnte man noch beliebig fortsetzen, denn auch die kleinsten Rollen wurden von Uwe Hänchen überaus passend besetzt. Die beiden Bühnenneulinge Finn Zeidler (Kinderbesetzung) und besonders Lorenz Mildner (Jugendbesetzung) sorgten als Schiba-bigk durch ihr überzeugendes Spiel für spannungs- und emotionsgeladene Momente.
Daneben bot die Inszenierung auch reichlich Gelegenheit zum Schmunzeln, nicht zuletzt durch die beiden Hobble Frank-Darsteller Gerdi Groß und Friedemann Heinrich (60), die in gekonntem Sächsisch die Lachmuskeln der Zuschauer strapazierten. Ebenso die Verkehrten Toasts, die von dem über zwei Meter großen Hans Alvin Hillmann (Langer Davy in beiden Besetzungen) und Quentin Ast bzw. Konstantin Kühn gespielt wurden und immer wieder für Heiterkeitsausbrüche beim Publikum sorgten.
Dies schaffte auch der Siegener Daniel Otterbach als Bandit Benyon, inzwischen in Sachsen lebend, der sich einen Lebenstraum erfüllt hat und mit Unterbrechungen seit 2011 seinen Urlaub in Bischofswerda verbrachte, um dort auf der Bühne zu stehen.
Mit Abstand die jüngsten Darsteller waren diesen Sommer der vierjährige Fabian Stürzner und seine siebenjährigejährige Schwester Johanna, die seit ihrer Geburt in Bischofswerda mitwirken.
Der Vollständigkeit halber sei hier auch noch der neue Kutscher Marco Käsler erwähnt, der den Staffelstab von dem inzwischen über 80-jährigen Martin Schulze, der nicht nur von Anfang an dabei war, sondern bis dato auch der älteste Darsteller war, kurzfristig übernommen hat.
Zur Inszenierung
Es ist immer wieder erstaunlich, wie es Uwe Hänchen mithilfe der Unterstützung seiner Regieassistentin Heike Löpelt gelingt, das Zusammenspiel seiner ungefähr 80 Akteure zu koordinieren und diese wirkungsvoll in Szene zu setzen. Neben den bereits erwähnten Hauptfiguren fungierten sie diesen Sommer als kampfeswütige Komantschenkrieger, Frauen und Kinder, die das Lagerleben mit Spielen und Kampfübungen unter der Leitung von Angelika und Peter Stürzner belebten. Der schon traditionelle Tanz, für den einmal mehr Anna Giesbrecht verantwortlich zeichnete, war diesmal ein indianischer Totentanz zur Melodie des von den Schibockern selbstkomponierten und getexteten Liedes „Manitou“, das es auch als Video unter https://www.youtube.com/watch?v=KKy4GWxHVjc zu bewundern gibt.
Schon zur Tradition geworden ist der finale Stunt am Ende, wenn es gilt, den Bösewicht zu bestrafen. Seit 2018 übernimmt diese Aufgabe der ehemalige Darsteller der Spielgemeinschaft und jetzige Stuntman Holm Herrmann, der früher zum Stuntteam AWEGO gehörte. Diesmal doubelte er die beiden Burton-Darsteller und wurde statt ihrer durch die Explosion der Sprengfalle in der Höhle in die Tiefe gerissen.
Was wäre aber ein Karl-May-Stück ohne Tiere? Neben den Pferden, die jedes Jahr vom Gründer-Gut Wölkau kommen, waren schon die unterschiedlichsten Tiere auf der Waldbühne in Bischofswerda zu sehen. Dieses Jahr beispielsweise zum wiederholten Male der beeindruckende Weißkopfseeadler von Hans-Peter Schaaf, – ein Falkner, der die Spielgemeinschaft mit seinen Greifvögeln seit Jahre unterstützt. Hinzu kamen zwei Esel und einige Hühner, für welche Carola Beuther verantwortlich war.
Was aber seit Jahren die Inszenierungen von Uwe Hänchen ausmacht, ist der Umstand, dass man sich in Bischofswerda auch nicht davor scheut, emotional schwierige Szenen auf die Bühne zu bringen. Gerade im diesjährigen Stück gab es einige davon, teilweise recht brutal anmutend.
So wurde gleich zu Beginn das Ehepaar Fuchs (Fox) von den Geiern erschossen und deren kleiner Sohn schwer verletzt. Auch Tevua-schohe wurde vor den Augen seines Sohnes ermordet und Schiba-bigk von dem Halbblut Kihi Wak um ein Haar skalpiert und von Burton brutal getreten. Verständlich daher dessen Racheschwur gegen alle Weißen und seine anfängliche Unversöhnlichkeit. Erst Old Shatterhand, der ihn im Zweikampf besiegte, konnte ihn schließlich umstimmen, sodass am Ende die eigentlichen Schuldigen bestraft werden konnten.
Neuling Lorenz Mildner war als nach Rache dürstender Schiba-bigk in der Jugendbesetzung mehr als überzeugend, sowohl spielerisch als auch kampftechnisch. Zudem spielte er seine Rolle mit freiem Oberkörper, was ihm sicher den einen oder anderen bewunderten Blick einbrachte.
Bei aller Tragik gab es auch viele humorvolle Momente. Verantwortlich dafür waren – ganz buchnah – die drei Westmänner Hobble-Frank, Jemmy und Davy, die schon rein optisch perfekt passten. Bei Dialogen wie diesen blieb sicher kein Auge trocken:
Jemmy: Geister gibt’s nur im Märchen.
Frank: Oder in einem Starkbier-Trauma.
Jemmy: Du meinst in einem Drama von Shakespeare.
Frank: Mei lieber Freund Jemmy! Nu ham mir uns ’ne halbe Ewigkeet nich gesehen und du hast nischt Besseres zu tun, als mich zu korrumpieren.
Jemmy: Es heißt „korrigieren“.
Frank: Egal! Ich hab jetzt jedenfalls Hunger wie een afrikanischer Königstiescher.
Jemmy: Königstiger gibt es in Afrika nicht.
Fazit:
Was das Besondere an dieser wunderschönen Bühne ist, brachte Moritz Lehmann bereits 2012 auf den Punkt:
„Das Schöne an Bischofswerda ist auch der Zusammenhalt und das familiäre Drumherum. Konkurrenzdenken gibt es bei uns nicht. Es ist nicht die Rolle, sondern der Verein und die Gemeinschaft, was mich an Bischofswerda bindet. Ich glaube, woanders gibt’s das nicht. Schließlich sind wir auch die einzige Bühne, bei der der an allen Bühnen bekannte und berühmte „Eiserne Wolf“ auch mitspielen kann.“
Ein Besuch in Bischofswerda lohnt sich in jedem Fall. In zwei Jahren wird anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Spielgemeinschaft „Gojko Mitic“ eins der wohl bekanntesten Stücke, nämlich „Winnetou I“, auf der Waldbühne gezeigt:
Weitere Informationen zur Geschichte der Bühne und den Inszenierungen der vergangenen Jahre findet ihr unter: http://www.karl-may-spiele-bischofswerda.de/
Bericht und Fotos: Katrin Ebel