Neues Jahr, neues Stück, neue Eindrücke.
Das Wetter hat dieses Mal leider nicht mitgespielt, was zum Glück niemand beeinflussen kann. Nahezu alle Menschen, des gut gefüllten Zuschauerraums, waren auf die Wetterlage vorbereitet. Hatten die vergangenen Tage und Wochen doch, was das Wetter betrifft, bereits ihre Schatten vorausgeworfen. Diese Rahmenbedingungen schmälerten weder die Freude der Besucher, endlich wieder die Abenteuer des berüchtigten Seeräubers Klaus Störtebeker zu erleben, noch die Begeisterung, die das komplette Ensemble an den Tag legte, um eine einzigartige Show zu bieten. Vom kleinsten Statisten, bis hin zur, in diesem Jahr tragischen, Hauptfigur, sind alle mit viel Herzblut dabei.
Die erstmalig Angeheuerten fügen sich nahtlos in die Mannschaft ein. Sie alle sorgen dafür, dass das Schiff nicht nur nicht kentert, sondern mit aufgebauschten Segeln dem Ende des Zykluses entgegen braust. Welcher, wie regelmäßige Zuschauer genau wissen, mit der Köpfung des obersten Vitaliers verbunden ist.
So gut wie jeder kennt die Legende um den Vitalier/Piraten Klaus Störtebeker und seine Mannen. Jahre lang soll er die Ost- und Westsee unsicher gemacht haben. Das Schwert wurde lediglich gegen die Reichen und Mächtigen, was hin und wieder nah beieinander liegt, erhoben. Alles nur, um die Beute unter denen gleich zu verteilen, die zu wenig haben. Er war ein Likedeeler. So die Legende.
In der diesjährigen Inszenierung wird dieser Grundgedanke immer wieder aufgegriffen und führt zu hitzigen Diskussionen. Nicht nur unter den Vitalienbrüdern. Das abweichen von diesem Leitmotiv, scheint das Ende Störtebekers zu besiegeln.
Auf der Seite der Reichen und Mächtigen stehen in diesem Jahr unter anderem Norbert Braun als oberster Bürgermeister Hamburgs, Viktor Nilsson in eine seiner vielen großartig vorgetragenen Rollen als Ratsherr Witte, Alexander Zieglarski als gewiefter Simon von Ütrecht und nicht zu vergessen Ruth Macke als intrigante Natalia van Beieren. Gerade die Figuren des Simon von Ütrecht und der Natalia van Beieren bekommen so viel Raum, dass sie als kongeniales Schurkenduo gesehen werden… könnten.
Wo wir gerade bei den Ratsherren waren: Diese scheinen so viel Geld zu haben oder sich ihrer Sache so sicher zu sein, dass sie bei der letzten Bombardierung seelenruhig ins Off gehen. Vielleicht wurde sich auch nur an eine Feuerübung erinnert, bei denen immer wieder gesagt wird, dass man im Brandfall oder ähnlichem, Ruhe bewahren soll. Wie schon Trude Herr sagte: „Nicht nervös werden.“
Die andere Seite wird selbstverständlich angeführt von Klaus Störtebeker alias Moritz Stephan. Dessen Kampfkumpane, Goedeke Michels, gespielt von Alexander Hanfland, steht meiner Meinung nach nur deswegen nicht auf einer Stufe der Kämpfer für Freiheit und Gleichheit, weil er das Stück überlebt. Was die schauspielerische Leistung natürlich in keinster Weise schmälert.
Anders als vergangene Bearbeitungen eines Zyklus, bekommt Goedeke Michels dieses Jahr gerade zum Ende hin mehr Raum. Er startet unter anderem einen kurzen und erfolglosen Versuch seinen Bruder zu befreien. Hier sind wir noch gleich mit vergangenen Inszenierungen, welches in der Vergangenheit ein unrühmlicher und der Figur nicht ganz gerecht werdender Abgang darstellte. In diesem Jahr wurde dies deutlich besser umgesetzt.
Nach einem Jahr Pause ist Lisa Ahorn als Occa tom Brok wieder an Bord und sorgt als Frau Störtebekers und als sich sorgende Schwester vom überzeugenden Neuling Valentin Stückl (Keno tom Brok), für die gefühlvollen Moment. Meiner Meinung nach ist ihr ein großer Anteil zuzuschreiben, dass am Ende nicht viele Augen trocken bleiben (unabhängig vom Wetter).
Eine tragische Rolle hat dieses Jahr Karin Hartmann als Amrei inne, die mit ihren Weissagungen von vor zwei Jahren Recht behält (Anm. „Im Angesicht des Wolfes“ 2022).
Für die lustigen Momente, welche bei weitem nicht überladen sind, aber dennoch super ins Stück passen, sorgen dieses Jahr der großartige und beliebte Charles Lemming als Siggi, Volker Wackermann als amüsant Plattdeutsch quasselnder Fridtjof und Tina Rottensteiner als Madame Fleur, die in keinster Weise auf den Mund gefallen ist.
Nicht unerwähnt darf natürlich Wolfgang Lippert bleiben. Neben dem Evergreen „Albatros“ wurden wieder sehr schöne „neue“ Lieder in das Stück eingebaut. Unter anderem von den Puhdys „Was bleibt“. Natürlich fehlt dieses Jahr auch nicht das Stück, welches am Ende eines jeden Zyklus seit vermutlich nunmehr über 20 Jahren intoniert wird. Dieses Mal mit beeindruckender grafischer Untermalung.
Ich möchte hier jetzt nicht das Stück bis ins kleinste Detail beschreiben. Niemand kann dieses Erlebnis auf der Naturbühne Ralswiek besser beschreiben als ein Live-Besuch direkt vor Ort.
Egal ob die Sonne scheint (was jedem zu wünschen ist) oder ob es regnet (wenn dann bitte nur „leichter Regen“, wie es in den Wetter-Apps immer so schön heißt. Das ist zwar zunächst unangenehm, lässt sich bei den aktuellen Temperaturen jedoch relativ gut aushalten).
Insgesamt war das Stück für mich eine herrliche Möglichkeit abzuschalten und in eine andere, längst vergangene Zeit einzutauchen. Heute waren wir alle Likedeeler, Gleichteiler. Wir kamen zusammen, trotzten den Obrigkeiten (dem Wetter) und teilten ein Stück unsere Zeit für etwas Wunderbares.
Meine Vorfreude auf 2025 ist schon jetzt geweckt. Dann startet die Legende von Neuem. Klaus Störtebeker und Goedeke Michels werden „Freibeuter der Meere“.
1 Kommentar
Schöne Review!