Premiere. Endlich! Mit über einem Jahr Corona bedingter Verspätung, starteten die Festspiele Burgrieden in ihre neue Spielzeit und, soviel sei vorweggenommen, manifestieren ihre Stellung im Karl May Kosmos. Waren wir schon in der Spielzeit 2019 überrascht und begeistert von der Inszenierung „Im Tal des Todes“, so müssen wir in diesem Jahr feststellen, dass die Festspiele nochmals einen Schritt nach vorne gemacht haben. Doch dazu später mehr.
„Nein! Es regnet nicht“, sagte die Geschäftsführerin der Festspiele von Burgrieden, als sich der Himmel am Premierenabend über den knapp 800 Besuchern öffnete. Der mutigen Aussage standen jedoch unzählige Regencapes und Schirme gegenüber, um sich vor dem nicht vorhandenen Regen zu schützen. Der Regen, welcher bis auf wenige Minuten die komplette Premiere begleitete, machte dem Publikum aber nichts aus. Gebannt verblieben die Zuschauer auf ihren Plätzen und sahen eine der vielleicht besten Karl May Inszenierungen der letzten dreißig Jahre.
Old Surehand ist wohl eines der am schwersten auf die Bühne zu bringenden Büchern des sächsischen Autoren Karl May. Die vielschichtige Familiengeschichte, die sich über zwei Bände erstreckt und viele wichtige Personen und Geschichten miteinander vereint, stellt für jeden Autoren eine große Herausforderung dar. Eine 1:1 Umsetzung ist für ein Theater unmöglich und würde vermutlich die Sehgewohnheiten der heutigen Zeit überfordern. Während man auf den großen Bühnen oftmals nur noch Fragmente der Romanvorlage erkennt oder man sich einfach für eine umgeschriebene Filmvariante entscheidet, konnte man auf den Bühnen in Bischofswerda, Mörschied und auch in Rathen sehr gute und Buch nahe Inszenierungen in den vergangenen Jahren erleben. Gespannt blickte der Autor dieser Zeilen auf die Umsetzung in Burgrieden.
Im Vorfeld der Saison kam es zu einigen Umbesetzungen im Ensemble, welche persönlicher Natur waren und auf welche wir nicht weiter eingehen wollen. Trotz der Abgänge von großartigen Schauspielern ist es den Festspielen in Burgrieden gelungen, ein starkes und in weiten Teilen überragendes Ensemble zu engagieren, welches mit enormer Intensität den verschiedenen Charakteren Leben einhauchten. Das Blutsbrüderpaar reitet nun zum dritten Mal in Folge zusammen. Max Feuerbach steht als Winnetou auf der Bühne und im dritten Jahr nimmt man ihm diese Rolle komplett ab. Seine Stimme wirkt immer besser und auch auf dem Pferd wirkt der sympathische Schauspieler wesentlich routinierter als in den Vorjahren. In einigen Szenen vermisst man ein wenig Pathos, dies mag aber eine reine Geschmackssache sein. Ihm zur Seite steht als Old Shatterhand Martin Strele. Strele spielt bereits seine vierte Spielzeit als Alter Ego Karl Mays und ist das Aushängeschild der Festspiele Burgrieden geworden. Schauspielerisch kämpft und reitet er auf höchstem Niveau und steht als echter Gentleman auf der Bühne. Seine Haltung, Aussprache und Gestik geben der Figur etwas ganz Besonderes. Für mich ist Strele der beste Shatterhand Darsteller, den man aktuell auf einer Karl May Bühne finden kann, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass er nicht nur als Stichwortgeber fungiert sondern Karl May gerecht das Heft des Handelns in die Hand nehmen darf. Die Titelfigur des Old Surehand spielt Ferdinand Ascher. Auch wenn ich in den letzten Jahren von Aschers Darstellung nicht restlos überzeugt war, so muss ich in diesem Jahr meinen Hut ziehen. Die Rolle des jungen Helden wurde von Autor Michael Müller so angelegt, dass man die ganze Inszenierung über eine Entwicklung feststellen kann, welche von Ascher glänzend ausgefüllt wird. Mal tough, mal gebrochen oder emotional: Ferdinand Ascher Darstellung überzeugt in jeder Phase. Man schaut ihm gerne zu und die facettenreiche Rolle lässt ihn förmlich aufblühen. Da steht am Anfang kein fertiger Held auf der Bühne, sondern einer der seinen Weg noch suchen muss. Und genau das spielt Ferdinand Ascher mit Bravour aus. Mit Alexander Baab in der Rolle des Apanatschka steht ihm ein bekanntes Burgrieder Gesicht gegenüber und später zur Seite. Zu Baab braucht man nicht mehr viel sagen. Er ist einfach gut und die Rolle des jungen Kriegers, welcher zwischen den Stämmen und Völkern steht, passt wie die berühmte Faust aufs Auge. Kolma Puschi, die Mutter von Old Surehand und Apanatschka, wird von Helga Reichert verkörpert. Sie ist für mich der heimliche Star der Inszenierung. Mit Leidenschaft und viel Gefühl verkörpert sie die gebrochene Kriegerin, die ihre beiden Söhne verloren hat und sich als männlicher Krieger ausgibt, um zu überleben. Die sanften Momente spielt sie dabei genauso stark aus wie die Momente der Verzweiflung und Wut. Es ist ein Hochgenuss ihr dabei zuzusehen. Besonders hervorzuheben ist jene Szene, in der sie über die Vergangenheit spricht und die Geschichte des Bruches in Ihrer Familie erzählt. Auch hier macht sich wieder die Liebe zum Detail des Autoren bemerkbar, der die Geschichten der einzelnen Personen zu Ende erzählt und keine Fragen offenlässt.
Den humoresken Part der Erzählung übernimmt Hubertus Rösch als Mr. Treskow. Der Präriepolizist ist ein Neuling im Wilden Westen Burgriedens und auch er weiß zu überzeugen. Natürlich ist Treskow in der Mayschen Vorlage kein lustiger Kauz, allerdings musste der Autor eine Lösung finden, die die ein oder andere Szene ein wenig aufheitert. Rösch spielt dabei nie eine Knallcharge oder gar einen Trottel, sondern eine angenehm witzreiche Figur, die beim Publikum richtig gut ankommt. Mit Rösch hat man jemanden für das Ensemble gewinnen können, bei dem die Fantasie des Autoren dieses Textes keine Grenzen kennt. Man darf gespannt sein ob und in welcher Rolle Rösch 2022 zu sehen sein wird. Auf ihn Verzichten sollte man keinesfalls. Ebenfalls neu im Ensemble steht Norbert Sluzalek, welcher als Mr. Helmers und Vupa Umugi gleich in zwei Rollen seine Vielseitigkeit unter Beweis stellen darf. Stimmer, Spannung, Haltung: Sluzalek ist ein Profi und man sieht ihm den Spaß an seiner Arbeit an. Auch mit ihm dürfte man in den nächsten Jahren viel Freude in Burgrieden haben. Als General Douglas stieß Hardy Halama kurz vor Probenbeginn zum Ensemble hinzu. Der erfahrene Schauspieler spielt seine ganze Routine aus und weiß auch kleinere Unsicherheiten hoch zu Ross zu kaschieren. Hartmut Distel als Schahko Matto und Julian Huitz als Parker komplettieren ein sehr homogenes und spielstarkes Ensemble. Fehlt noch einer: Pit Anders als Old Wabble. Mit einem Wort: Sensationell. Das was Pit Anders in Burgrieden zeigt, sucht seinesgleichen. Er spielt die Rolle des „König der Cowboys“ in jeder Phase glaubwürdig, eindrücklich und mit einer Intensität, die man nur ganz selten auf einer Bühne zu sehen bekommt. Auch hier muss das Lob aber an den Autoren gehen, denn Old Wabble wird mit all seinen Facetten auf die Bühne gebracht und verkommt nicht als gewöhnlicher Schurke wie nahezu auf allen anderen Karl May Bühnen. Pit Anders lebt diese Rolle und macht sie sich gänzlich zu eigen. In dem einen Moment kann man ihn nur abgrundtief hassen, während man ihm in deiner Todesstunde am liebsten persönlich zur Seite stehen möchte. Selten habe ich bei einem Theaterstück mit einer Figur so „mitleben“ können, wie bei diesem Old Wabble.
Neben seiner Aufgabe als Regisseur und Autor, stand Michael Müller auch als Tibo-taka auf der Bühne und wusste auch hier zu überzeugen. Als Autor hat Müller in vielen Szenen Mut und Karl May Liebe bewiesen. Er gibt allen Figuren genügend Raum sich zu entwickeln, verzichtet auf unnötige Effekthascherei und nutzt die Möglichkeiten der Bühne vollumfänglich aus. Er hat den Mut das Thema Religion zu spielen und schafft es auch, diese bei Karl May immer wieder auftauchenden Momente ohne Kitsch, missionarischem Übereifer und mit viel Respekt zu vermitteln. Die Liebe zu Karl May zeigt sich vor allem in der Gesamtgeschichte und der Entwicklung der Figuren. Während nahezu überall nach der Familienzusammenführung die Inszenierungen abgeschlossen sind, lässt Müller es sich nicht nehmen das Schicksal des Old Wabble voll auszuspielen und damit eine Surehand Inszenierung eher ungewöhnlich zu beenden. Entwicklung bemerkt man auch bei Surehand selbst. Da steht ein junger Held auf der Bühne der gar nicht so recht ein Held sein will und sich in der gesamten Inszenierung entwickelt. Erst als diese Entwicklung abgeschlossen ist, hört man dann auch erstmals die bekannte „Old Surehand“ Melodie von Martin Böttcher. Die Geschichte der Familie Bender wird ebenso auf ungewöhnliche Art und Weise vorgetragen. Während im linken Bühnenbild Kolma Puschi von dem Schicksal ihrer Familie erzählt, sieht man im rechten Bühnenbild auf dem Kunstfelsen die Geschichte von Komparsen nachgespielt. Gerade am Abend bei toller Beleuchtung sorgt dieses für Gänsehautmomente. Michael Müller ist es gelungen diese Familiengeschichte in beeindruckender Art und Weise auf die Bühne zu bringen und die Stärken seines Ensembles zu nutzen. Mit Lajos Dren hat der Regisseur erstmals auch einen professionellen Stuntman im Ensemble und setzt diesen klug ein. Das Publikum dankt mit Szenenapplaus. Auch mit der Musikauswahl liegt Michael Müller goldrichtig und verzichtet nicht wie andernorts, auf die berühmten Böttcher Melodien. Erfreulich ist auch weiterhin der Einsatz einer Erzählerstimme, welche souverän durch das Stück führt. Mit Pat Zwingmann, mittlerweile auch die Synchronstimme für Hollywoodstar Anthony Hopkins, hat man hierfür auch den richtigen Mann.
Als Karl May Freund muss man dankbar für das Geschehen auf der Bühne sein. Tolles Theater ohne Effekthascherei, top Schauspieler und eine Karl May Nahe Geschichte machen die Festspiele Burgrieden zu einem Pflichtbesuch. Der Mayster selbst, hätte wahrscheinlich auch seine Freude an dieser Art und Weise seine Bücher auf einer Bühne zu sehen. Lediglich beim drumherum darf man in Burgrieden noch ein wenig an sich arbeiten. Im Wilden Westen sollte man nicht auf Currywurst, Steaks und Fritten verzichten. Würstel und Couscous Salat sind keine wirklichen Alternativen für einen echten Westman und duften auch nicht so gut. Auch alte Plakate und Bilder bekommt man nirgends zu sehen. Dabei braucht man sich gar nicht verstecken. Ganz im Gegenteil. Künstlerisch ist Burgrieden das neue Karl May Mekka. Mit was? Mit Recht!