Sie steht in diesem Sommer erstmals auf einer Karl-May-Bühne und begeistert das Publikum in ihrer Rolle als Nscho-tschi: Christine Winter. Die sympathische Schauspielerin und Sprecherin stand uns für ein Interview zur Verfügung. Interview? Nein, es war vielmehr ein spannender Dialog mit einer interessanten Persönlichkeit. Ein Satz im Vorfeld unseres Gesprächs hat sich besonders eingeprägt:
Die Rolle der Nscho-tschi ist ein Auftrag…
Nscho-tschi ist ein Auftrag, was meinst du damit?
In der Welt von Karl May und auch in der Apachen-Familie findet man hauptsächlich männliche Charaktere, die die Handlungen vorantreiben. Nscho-tschi ist eine der wenigen Frauen. Gerade in dem Textbuch von Michael Müller ist sie auch keine unbedeutende Figur. Sie ist „modern“ geschrieben. Sie ist selbstbewusst, in einem von Männern dominierten Kosmos, die auch die Regeln und die Aufgabenverteilung festlegen. Als Tochter des Häuptlings nimmt sie sich das Recht heraus, ihrer Intuition und dem Drängen Ihres Herzens zu folgen. Sie gibt sich selbst eine Stimme und das finde ich schön.
Sie gibt sich selbst eine Stimme und behauptet sich in einer männerdominierten Welt. Gibt es da Parallelen zu deinem Beruf als Schauspielerin? Wenn wir z.B. das Thema „MeToo“, welches vor zwei Jahren aufkam, betrachten. Muss man sich als Frau in deiner Branche auch so durchsetzen, wie Nscho-tschi als junge Indianerin?
Ja. Ich habe sehr oft das Gefühl, dass es in der Theater- und Filmwelt ein mehr oder weniger abgekartetes Spiel zwischen Männern ist. Das sich Männer theoretisch nie im Ton vergreifen können und dass man sich „von Mann zu Mann“ auf einer ganz anderen Ebene unterhält und sich Frauen eben darum unbedingt gegenseitig den Rücken stärken müssen.
Weil das Frauenbild in unserer Gesellschaft heute immer noch ein rückständiges ist, oder glaubst du, dass Männer da einfach ‚taffer‘ auftreten? Oder ist es so, dass wir uns immer noch in einer Männerdomäne befinden, die tatsächlich noch von Männern dominiert wird?
Ich weiß nicht, ob das ein Kampf der Geschlechter ist, oder einfach der einer grundsätzlich fehlenden Streitkultur, aber ja, genau da stehen wir. Frauen haben es schwerer, sich (Führungs)Positionen zu sichern und ihren Standpunkt zu behaupten. Frauen werden, wenn Sie laut und ungemütlich werden, schnell als Zicke abgestempelt. Männer haben da mehr Spielraum. Unser Wortschatz gibt meines Wissens kein Klischee her, das den Mann in seiner Meinungsäußerung und seinem Habitat so negativ bewertet und eingrenzt, wie es der Begriff „Zicke“ tut.
Hast du das geahnt, als du in diesen Beruf eingestiegen bist?
Nein, aber ich habe zugegebenermaßen auch nicht viel von dem Kosmos „Darstellende Kunst“ gewusst. Und dieser Geschlechterkonflikt , so er denn einer ist, wohnt ja nicht nur in der Beruflichkeit der Kunstschaffenden, sondern durchzieht die gesamten Strukturen unserer Gesellschaft. Um bei mir zu bleiben: Ich bin naiv und ohne nachzudenken meinem Herzen und meinem Spieltrieb gefolgt und meiner gefühlten Berufung. Da habe ich keine Fragen gestellt, was eventuell auf mich zukommt. Ich weiß gar nicht, wann mir diese Auseinandersetzung, dieses Konfliktpotenzial zwischen Männern und Frauen – ich möchte fast lieber sagen „zwischen Menschen mit Macht und weniger Macht“ – zum ersten Mal so richtig bewusst geworden ist. Vielleicht ist es aber auch eher eine von der Presse aufgebauschte Meinungsmache.
Wie war dein Weg zur Schauspielerei?
Nach meinem Abitur habe ich ein Jahr lang ein Praktikum im Jugendzentrum Konstanz absolviert, um anschließend mein Sozialpädagogik-Studium in Bamberg beginnen zu können. Nach einem Tag Studium habe ich gemerkt, dass das ein völliger Irrweg ist, eine Sackgasse. Etwas mir Aufgedrücktes, nach dem Motto: „Du musst etwas machen, was man kennt.“ Davor bin ich sehr entschieden geflohen. Ich habe mir ein One-Way-Ticket nach Griechenland gekauft und war entschlossen, mich kennenzulernen und zu erleben. Ich habe mir Kreta angeschaut und dort als Animateurin mit den Gästen gearbeitet. Morgens Kinderkurse, mittags Sportkurse und abends stand ich auf der Bühne. Ich habe zum ersten Mal Bühnenluft geschnuppert. Wir haben Musicals und Sketche aufgeführt und das ganz weit weg von Professionalität. Trotzdem sind viele der Gäste immer wieder auf mich zugekommen und meinten, dass die Workshops tagsüber super und spaßig sind, aber abends würde ich auf der Bühne so richtig aufblühen. Man sah mir gern zu. Ich solle Schauspielerin werden – ein Ratschlag, der mein Herz zum Rasen brachte und den ich mir zu Herzen nahm. Bis dahin war mir nicht bewusst, dass ich Schauspielerin werden kann und möchte.
Dann hast du quasi in Griechenland durch die Animation reingeschnuppert und hast dort entschieden, zurückzugehen und Schauspiel zu lernen?
Ja. Ich weiß noch, es war ein brüllend heißer Tag und ich bin durch Athen gelaufen. Ich habe mich treiben lassen und meine Füße trugen mich ohne Absicht ins Dionysos-Theater, wo ich aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Direkt nebenan war eine Schauspielschule, allerdings eine griechische. Da habe ich gedacht, dass ich mit den paar Brocken Griechisch nicht weit komme und nach Hause muss, wenn ich das durchziehen möchte. Dieser Gedanke hat mich dann sehr schnell nach Hause gezogen und keine Woche später saß ich im Flug, weil ich eine glasklare Agenda vor mir sah: Ich will Schauspielerin sein! Zum Glück musste ich nicht lange warten. Die Vorsprechen für die Saison 2005 liefen bereits. An der Athanor-Akademie habe ich als erste und einzige Schule vorgesprochen. Die hatte ich mir bewusst ausgesucht, da der Fokus dort auf physischen Theatern lag, was mir entgegen kam, da ich zu dem Zeitpunkt sportlich sehr fit war. Das war für mich eine gefühlte Absicherung, falls ich wegen fehlendem Schauspielwissen nicht punkten kann, da ich noch nie auf einer professionellen Bühne gestanden hatte. Ich hoffte alles Fehlende durch meine Sportlichkeit auszugleichen. Das hat funktioniert.
Wie lange hat deine Ausbildung gedauert?
4 Jahre.
Du bist also eine voll ausgebildete Schauspielerin.
Ich habe mich 4 Jahre lang jeden Tag dem Studium und dem Theater gewidmet. In Burghausen gab es auch nicht viel, was man sonst noch hätte machen können. Den Standort hat der Leiter der Schule bewusst so gewählt. Er hat seine Schule immer liebevoll den „Schmelztiegel der Kunst“ genannt. Für diese Zeit dort bin ich mehr als dankbar. Es war die intensivste Zeit meines bisherigen Lebens. Du machst dich mit 12 anderen Menschen auf die Reise zu dir selbst. Du musst dir alles, was du bist und mitbringst, anschauen. Ein wesentlicher Inhalt dieser Schule war es neben dem Erlernen des fundierten Handwerks des Schauspielens auch in die Innenschau zu gehen. Zu prüfen, woraus du alle emotionalen Kräfte ziehen kannst. Was bewegt dich? Wie schöpfst du aus deiner Fantasie?
Handwerk ist ein gutes Thema. Schauspiel ist in gewisser Weise ein Handwerk. Das sieht man heutzutage leider ziemlich selten, dass es auch tatsächlich als Handwerk anerkannt wird. Was würdest du heute als Schauspielerin sagen, beherrscht du dein Handwerk? Und wo hast du, im Gegensatz, aus deiner Sicht Schwächen, an denen du noch arbeitest?
Das ist eine schwierige Frage. Ich durfte von einigen Theatergrößen lernen, die meiner Meinung nach wirklich was draufhaben. Alles voran Prof. Dr. David Esrig, der unter Nicolae Ceaușescu wirklich hartes politisches Theater gemacht hat und seine gesamte Existenz und seine Seele an dieses Handwerk knüpfte. Ich glaube, was ich kann, ist den existenziellen Gedanken des Schauspiels zu denken und auszuführen. Für mich ist es nicht nur, dass ich jemanden täuschen oder mit einer Handlung blenden möchte. Ich möchte wahrhaftig sein und meine Gegenüber einladen, mit mir zu kommen. Ich nehme eine Rolle als das wahr, was sie ist: die enorme Chance auf Wachstum. Die Chance, etwas zu erleben, was ich selbst gar nicht erleben kann, weil ich diese Figur in Wirklichkeit gar nicht bin.
Wir werden gerade ziemlich philosophisch. Wie viel Kraft kostet es in eine Rolle zu schlüpfen und mit Leben zu füllen? Du machst den Eindruck, dass du dich vollständig mit deinem Tun identifizierst. Wie viel Spaß bleibt da am Ende dann noch bei der Rolle?
Es kostet mich gar keine Kraft. Es macht mir von Anfang bis Ende einfach nur Spaß und bringt mir sehr viel Freude. Sobald ich einen Fuß auf die Bühne setze, ist das ein bisschen Urlaub von mir selbst und allem, was im echten Leben gerade so abläuft.
Dein Traumjob?
Absolut. Ohne Frage. Da ist dieser Moment, wenn man der Rolle Leben einhaucht und völlig in ihr aufgeht. Diese Berufswahl ist für mich auch überhaupt keine Frage der Eitelkeit oder der Bekanntheit. Ich spüre jedes Mal das Kind in mir.
Was war bisher deine schönste Rolle?
Ich glaube tatsächlich die Nscho-tschi. Ich kann Sie in Relationen setzen. Mich hat vor kurzer Zeit jemand gefragt, welche Rolle ich als letztes vor Corona gespielt habe: Das war die Kampfpilotin aus „Am Boden“ von George Brand. Mir ist aufgefallen, wie schlecht es mir damals ging, denn die Frau hatte in einem 90 Minuten langen Monolog unglaublich viel zu verhandeln. Trotzdem macht es mir genauso viel Spaß, auch in einer solchen Figur verloren zu gehen. Aber Nscho-tschi gibt mir auf eine andere Art ein unfassbar schönes Spielerlebnis. Einfach, weil sie mich vom Wesen her so anspricht. Diese eigenständige, selbstbestimmte, friedvolle Art, dieses Besonnene, Abwägende, Vorsichtige, Würdevolle, Sensible und Bedachtsame. Der messerscharfe Verstand ihres Vaters, das gütige Herz ihrer Mutter. Da ist eine große Spannbreite an Spielmöglichkeiten drin. Und natürlich ist sie auch noch die Schwester von Winnetou.
Oder die Liebelei von Old Shatterhand.
Diese Neugierde auf Unbekanntes, die sie im Wesen trägt, gefällt mir auch. Das ist ein schöner Charakterzug, der das Spielen auf der Bühne für mich reich und schön macht.
Hast du vorher Winnetou I gelesen?
Ja. Mein Papa hat mir die Abenteuer um Winnetou und Old Shatterhand vorgelesen, daher bin ich mit den Büchern im Grunde groß geworden. Ich erinnere mich an die Gute-Nacht-Geschichten meines Vaters. Aber wenn man diese Abenteuer als Kind vorgelesen bekommt, macht das etwas Anderes mit dir. Heute sehe ich vieles in einem anderen Licht. Damals wollte ich auch Apachin sein, ging zum Fasching in einem Indianer-Kostüm. Heute ist das ganze Thema sensibler und aufgeladener. Daher ist es dann umso wichtiger, dass man weiß, was man da tut.
Michael hat vor der Saison erzählt, dass er Nscho-tschi etwas moderner anlegen möchte und dabei Bauchschmerzen hat. Weil er Angst hatte, dass das zu sehr von dem originalen Buch abweicht. Als ich dann vor der Saison den ersten oder zweiten Durchgang gesehen habe, habe ich an der einen oder anderen Stelle gedacht, ob man das so machen muss. Ist das vielleicht zu modern? Anschließend habe ich Winnetou I nochmal gelesen, das vierte oder fünfte Mal bestimmt, und musste feststellen, dass Michael nichts Anderes gemacht hat, als Karl May zu schreiben und du genau das hier spielst. Michael Müller ist der erste, der Nscho-tschi so be-& geschrieben hat, wie sie im Buch steht. Es zeigt, wie groß ihre Bedeutung ist.
Mir kommt es vor, dass das Frauenbild Karl May’s schon damals viel aktueller gewesen ist, als wir es heute wahrhaben wollen. Vielleicht auch, weil es ein wenig von der im letzten Jahr aufkommenden Thematik mit dem Film-Buch des Ravensburger Verlags, überlagert wird. Als du das Textbuch das erste Mal gelesen hast. Wie war deine erste Wahrnehmung zu der Rolle der Nscho-tschi? Hat sich das vielleicht sogar gedeckt mit deiner Wahrnehmung dieser Figur, als du noch ein Kind warst?
Ich kann dir da nur beipflichten. Ich fühle mich absolut authentisch. Als ich das Textbuch zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich gleich in der Eröffnungsszene „Ja, gibt ihr dieses Standing“, denn Sie ist nicht irgendwer. Sie ist die Schwester Winnetous. Sie hat ein Standing im Stamm. Sie hat eine Meinung. Für mich ist das deckungsgleich mit dem Buch. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine selbstbewusste Frau. Sie ist sich ihrer selbst bewusst. Sowohl im Buch als auch in meiner Rolle hier auf der Bühne. Das schätze ich sehr.
Die taffe Häuptlingstochter muss Facetten zeigen. Auf der anderen Seite wirst du in anderen Szenen, z.B. in der dich dein „Bruder“ wegträgt, um Old Shatterhand in die Irre zu führen, zu einem kleinen verliebten Mädchen. Ist dieser Wechsel schwer?
Das passiert einfach. Das Schöne ist doch immer das, was zwischen den Zeilen geschieht. Das nicht Gesagte ist oft besonders. Karl May hat wundervolle Begegnungen und Sehnsüchte gestrickt. Er hatte eine Ahnung, wie man Personen in verschiedene Beziehungen stellt. Michael hat ein gutes Händchen dafür, das auf die Bühne zu transponieren und die Zuschauer emotional zu lenken. Dabei hat ihm sicherlich auch sein Schauspielerdasein geholfen. Er weiß einfach, wie man ganz gekonnt die Emotionen der Zuschauer lenkt. Es ist so klug gemacht, was hier nicht gezeigt und gesagt wird.
Die Szenen, die nicht gezeigt, sondern die durch die Vorstellungskraft der Zuschauer erweckt werden, sprechen für sich.
Genau. Zum Beispiel den Kuss zwischen Nscho-tschi und Old Shatterhand gibt es laut Buch nicht und den braucht es auch nicht.
Kunst soll anregen…
Genau! Ich finde es sehr wichtig, dass der Zuschauer sich in emotionalen Wegen, Zuständen oder Momenten spiegeln kann. Nicht nur in dem Offensichtlichen, sondern auch in dem Vielschichtigen. Jeder Moment Leben ist vielschichtig. Zum Beispiel, wenn wir verliebt sind, spielen da Millionen Gedanken mit rein. Das ist ein Extremmoment, ein Ausnahmezustand. Wir wiegen uns von einer Emotion in die andere – vom Zweifel bis zum Jubel ist alles drin, manchmal in Millisekunden. Das ist ein ewiges Auf und Ab und Hin und Her. Jeder Moment hat ein ganzes Spektrum an Gefühlen und vielen weiteren Dingen. Diese Vielschichtigkeit empfinde ich als sehr schön und gelungen an unserer Apachen-Familie. Durch Karl May glauben wir, dass die indigenen Völker sehr frei sind. Mir, als durch und durch Europäerin, tut dieser Gedanke auch gut, um mich in dieser Rolle frei zu spielen. Diese Freiheit zu spielen, auch wenn man sie gar nicht explizit so benennt, fühlt sich gut an.
Dem entgegen steht, die im letzten Jahr aufgekommene Diskussion, ob man Karl May überhaupt noch zeigen darf. Wie stehst du zu dieser Diskussion? Haben Kollegen besonders reagiert, als sie gehört haben, dass du eine Indianerin spielst? Hat das Engagement hier in Burgrieden deine Sicht auf diese Diskussion verändert?
Ich habe mit vielen Gegenstimmen gerechnet, aber in der Zeit, in der ich hier bin, gab es bisher nur eine Stimme auf Instagram, die, das muss man dazusagen, keinen indigenen Hintergrund hat. Umso interessanter ist allerdings, dass wir beide einen gemeinsamen Freund haben, der indigene Vorfahren hat. Dieser hat sich vor Kurzem eine unserer Vorstellungen angeschaut und kam anschließend zur Autogrammstunde. Laut ihm war das pure Magie. Diese ganzen Hass- & Hetz-Stimmen erreichen mich gar nicht. Ich kam bisher nicht mit ihnen in Berührung. Wenn die mich erreichen würden, wüsste ich jedoch, was ich zu sagen habe: Macht keine Fern- und Fremddiagnosen. Schaut Euch das Ergebnis vor Ort an, bevor Ihr urteilt.
Ein altes Sprichwort der Natives sagt: „Urteile nie über einen Anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gelaufen bist.“ Ich bin der Meinung, dass unsere Gesellschaft heute viel zu vorschnell urteilt und irgendwelchen gelenkten, aufgeblasenen Diskussionen folgt. Wir sollten uns vielmehr auf das Faktische, rein Wesentliche beschränken, auf das, was tatsächlich ist.
Und es ist vielleicht sogar sehr wichtig, dass wir Karl May spielen, um diese Völker in einer gewissen Weise leuchten zu lassen, sie wertzuschätzen, um ihnen eine Stimme zu geben, damit sie nicht in Vergessenheit geraten und ihnen geholfen wird. Man kann sie durch die kraftvollen Märchen Karl Mays positiv aufgestellt zur Diskussion bringen, denn was da passiert, bzw. passiert ist, ist ein großes Unrecht. Das wissen wir alle.
Ich glaube, dass wir das nicht so genau wissen würden, wenn es Karl May hier nicht gäbe. Wenn er nicht auf der Bühne gespielt werden würde. Es würde uns auch vielleicht schlicht und einfach nicht interessieren. Wer spricht zum Beispiel heute wirklich über die Mayas? Keiner. Das Unrecht, welches Ihnen angetan wurde, ist identisch. Ich finde es fasziniert wie reflektiert du bist.
Bei Karl May sprechen wir auch von einem Autor, der niemals im Wilden Westen war, als er die Bücher geschrieben hatte. Sein ganzes Wissen fußte auf Büchern und seiner Fantasie. Er hatte kein Wikipedia. Karl May hat es damals gut gemeint. Wobei die Betonung auf damals liegt. Und heute wird das gespielt, was er sich damals ausgedacht hat.
Wenn man das alles aufs Wesentliche runterbricht, erzählt er eine wundervolle Geschichte über tiefe Freundschaft über jede kulturelle Grenze hinweg, eine Geschichte über die Begegnung von Kulturen. Diese Annäherung in Freundschaft und Verbundenheit würde unserer heutigen Zeit sehr guttun.
Was war bisher dein schönstes Highlight auf dieser Bühne? Was macht dir am meisten Spaß? Welche Szene ist die Beste?
Da gibt es viele. Wenn ich mich auf eine festlegen müsste, wäre das die für mich intime Szene mit meinem Bruder Winnetou (Anm.: Alexander Baab), in der ich ihm gestehe, dass mein Herz die Nähe zu Old Shatterhand sucht.
Ist Nscho-tschi denn verliebt in Old Shatterhand?
Verliebt ist ein großes Wort. Ich glaube aber verknallt wäre mir zu Laissez-faire. Ich würde eher sagen: Old Shatterhand erregt mein Interesse und bewegt mich. Alles, was in Nscho-tschi lebt, springt auf diesen Mann an. Der woanders herkommt, so ganz anders ist als alle anderen Bleichgesichter. Nscho-tschi denkt mit dem Herzen. Sie hat eine „Heart to Heart – Connection“ zu ihm. Was das bedeutet, weiß sie noch nicht, aber wenn der Weg über die Städte der Bleichgesichter führt, dann ist sie offen und bereit, diesen Weg zu gehen. Es ist mehr als verliebt sein. Obwohl sich verliebt sein gewichtig anhört, haftet an ihrem Gefühl viel mehr als nur jugendliches, schwärmerisches Schmetterlingsflattern. Old Shatterhand steht für Nscho-tschi für so viel mehr, als nur Liebe. Sie ist bereit, alles für ihn zu geben, alles, was sie ist oder was sie geben kann.
Du hast gesagt, dass es dir eine große Freude ist, Nscho-tschi zu sein. Wie bist du eigentlich nach Burgrieden gekommen?
Ich habe mich auf diese Rolle ganz klassisch beworben. Michael hat mal in den Anfängen zu mir gesagt, dass er in meinen Augen das gefunden hat, was er für seine Nscho-tschi sucht. Beim Vorsprechen bin ich Michael und Claudia zu ersten Mal begegnet und wenig später habe ich dann die Zusage erhalten, nachdem er sich schlussendlich und zu meinem Glück für mich entschieden hat.
Wie bewirbt man sich auf eine Rolle? Läuft das klassisch mit Lebenslauf und Passfoto?
Man bewirbt sich recht klassisch, wie bei einem herkömmlichen Bewerbungsgespräch mit kurzem Anschreiben, Foto und Lebenslauf. Anschließend haben wir uns für ein Vorsprechen an der Bühne getroffen. Ich bin mit zwei Rollen im Repertoire hierhergekommen.
Als ich die Bühne zum ersten Mal in Echt sah, habe ich Stoßgebete gen Himmel gesendet und gebetet, dass ich das doch bitte erleben darf.
Er hat dann in einer der Vorsprechrollen ein bisschen an mir gearbeitet und geschaut, ob ich diesen Text auch mit der „Würde einer Apachin“ sagen kann und ich konnte ihn zu meiner großen Freude wohl von mir überzeugen. Danach haben wir uns einige Jahrbücher und Fotostrecken der vergangenen Jahre angeschaut und noch lustig geplaudert.
Hast du dich besonders vorbereitet?
Ich habe die Homepage durchforstet, Bilder vergangener Spielzeiten angeschaut und Kollegen gegooglet, die hier schon gespielt hatten. Ich habe mir bei YouTube einige Ausschnitte von vergangenen Aufführungen angeschaut.
Wie lange dauert es, bis man eine Zusage erhält? Hattest du sofort ein „ja“?
Zwischen dem Treffen und der Zusage lagen etwa zwei Wochen.
Gibt es ein Theaterstück, eine Krimi- oder Fernsehreihe oder eine Rolle, die du gern einmal in deinem Leben spielen würdest?
Brillant für die Vita wäre natürlich, wenn ich die Buhlschaft am Domplatz in Salzburg, im Jedermann, spielen würde. Aber das stand bisher noch nicht auf meiner Agenda und ich bin selbst überrascht, dass mir diese Antwort grade über die Lippen purzelte. Das wäre schön, weil sie eine starke Frauenfigur ist, die man so reichlich interpretieren und mit Leben füllen kann.
Ich liebe starke Frauenfiguren. Eine Jeanne d’arc, Anne Bonny, eine Amalia aus den Räubern, eine Ophelia… ach, es gibt eine ganze Welt an Heroinnen und ich will sie alle beleben und erfahren.
Ansonsten ist durch diese Bühne Burgriedens meine Abenteuerlust geweckt worden. Vielleicht gehe ich wieder für einen Vertrag aufs Kreuzfahrtschiff, um auf Reisen zu sein und was von der Welt zu sehen. Oder ich spiele eine Vampirin, eine Hexe oder sonst eine Archetypin. So hat übrigens meine Karriere 2009 begonnen. Da habe ich in einem Freilichttheater auf der Mildenburg eine Vampirin gespielt.
TV hast du gar nicht erwähnt. Brauchst du den direkten Kontakt zum Publikum?
Absolut. Ich bevorzuge das Theater, auch wenn das Geld viel eher in den TV-Produktionen liegt. Ich schließe TV, Film, Streaming und Kino keinesfalls für mich aus. Aber im Moment trägt mich der Flow meines Lebens von Bühne zu Bühne.
Zum Schluss: Warum sollen die Zuschauer zu den Festspielen in Burgrieden kommen?
Hier ist jeder, von den Schauspielern, über die Reiter- und die Fußstatisten, vor und hinter der Bühne, mit Leidenschaft und von ganzem Herzen dabei. Das kann keinen nicht berühren, egal mit welcher Erwartungshaltung man hierherkommt.
Was steht für dich nach dieser Saison auf dem Programm?
Ich habe mir die weibliche Hauptstimme einer Jugendhörbuchreihe ergattert. Das Einlesen der Bücher wird vorerst etwas Zeit ein Anspruch nehmen. Zwei Werbedrehs und ein Werbeshooting stehen an. Privat lerne ich momentan fleißig für meine Reiten C-Lizenz. Persönliche Weiterbildung im Bereich Reiten und Waffenführung, sowie ein Aufbaukurs meines YTT 500h sind angedacht und fernab von allem Geplanten bin ich gespannt, was mir das Leben bringen wird.
Liebe Christine. Danke für den tiefen Einblick in Deine Persönlichkeit. Wir wünschen Dir noch tolle zwei Vorstellungen und hoffen auf ein Wiedersehen. Wo auch immer dieses wird.
Interview: HGS/SD
Fotos: Christine Winter & Susanne Stupperich