„Na ja, es ist so eine Art unmögliche Mission.“ So und nicht anders beschreibt der Westman Will Parker zweifelnd einen Befreiungsschlag in der neuen Aufführung von Winnetou I. Die Mission des neuen Regisseurs Nico König ist hingegen erfolgreich abgeschlossen.
Gestützt auf das Textbuch des seit der Jahrtausendwende für die Segeberger Spiele schreibenden und zwischenzeitlich zum Pressechef aufgestiegenen Michael Stamp präsentierte Nico König vor ausverkauftem Haus eine der besten Inszenierungen der vergangenen Jahre. Rasant, fulminant, unterhaltsam und emotional – König versteht es, eine exquisite Mischung zu erschaffen. Eine ausführliche Beschreibung der Inszenierung, Handlung und Darstellerleistung findet ihr in einem separaten Beitrag.
Den neuen Inszenierungsstil kennzeichnet die rasante Abfolge einzelner Szenen, die perfekte Mischung aus Humor, Action und Gefühl sowie die liebevolle Ausarbeitung großer Bilder, die die gesamte Größe der Naturbühne nutzen und füllen. Untermalt und unterstützt durch vielfältige stimmige Melodien, sowie Tanzeinlagen wird der Zuschauer durch eine Handlung geführt, die viel vom Geist Karl Mays in sich trägt und doch modern wirkt.
Die Zweikämpfe und Handgemenge sind in diesem Jahr deutlich dynamischer und härter inszeniert und überraschen mit manchem außergewöhnlichen Einsatz. Ein Kompliment an Steve Szigeti und sein Team von Stuntleuten, die wie von der Kette gelassen wirken. Michael Stamp hat es erneut verstanden, wunderschöne Momente zu kreieren, in denen die Protagonisten die Botschaft vom gegenseitigen Respekt und dem unermüdlichen Streben nach Frieden und Freiheit verbreiten.
Ein starkes Buch, von einem Regisseur mit klaren Vorstellungen, sowie profunden Wissen der Möglichkeiten dieser Bühne inszeniert und von einem sehr guten Ensemble umgesetzt. Das Premierenpublikum war begeistert. Bereits vor dem offiziellen Startschuss wurde aus dem Umfeld der Spiele von dem harmonischen und zielstrebigen Miteinander aller Produktionsteile berichtet.
Es ist schwer, aus einem so guten Ensemble einzelne Personen hervorzuheben. Aber auf die Akteure und einige Highlights wollen wir doch eingehen. Den Auftakt zu dieser kurzen Beschreibung machen wir dabei mit Harald P. Wieczorek, dem auch die Ehre des ersten großen Moments der Aufführung zuteilwird. Seite 1979 mit Unterbrechung an der Bühne, darf er, wie bereits in der Vergangenheit, in drei Rollen schlüpfen: die des weißen Lehrers Klekih-petra, des verbitterten Häuptlings Tangua und des Schöpfers aller Figuren – Karl May. Facettenreich und pointiert die unterschiedlichen Charaktere interpretierend erweist sich Wieczorek als wichtiger und ausdrucksstarker Darsteller. Mit seinem gefühlvollen und herzergreifenden Auftritt und Abgang als Karl May schreibt er Geschichte.
Unverändert Publikumsliebling und ebenfalls seit mehreren Jahrzehnten am Kalkberg verkörpert Joshy Peters Intschu-tschuna, den obersten Häuptling der Apachen. In seiner Funktion als Häuptling agiert Peters souverän und routiniert. Als Vater von Winnetou und Nscho-tschi setzt er jedoch die erinnerungswürdigen Akzente. Wann hat man je mit dieser Figur so mitgelitten? Spätestens als man ihn tödlich verletzt im Sand zu seiner ebenfalls getroffenen Tochter kriechen sieht, fühlt man sich von seiner Darstellung völlig gefangen. Der Lohn bestand aus einem außergewöhnlich kräftigen Applaus.
Bleiben wir bei der Familie und wenden uns einer Debütantin am Kalkberg zu: Nadine Menz. Als Gaststar vorgestellt war sie trotzdem für viele ein unbeschriebenes Blatt. Regisseur König kannte sie aber bereits aus einer gemeinsamen TV-Produktion und sah in ihr eine perfekte Besetzung für die junge Häuptlingstochter. Nadine Menz gehört zu den positiven Überraschungen der Inszenierung. Graziös und selbstbewusst verkörpert sie eine junge Frau, die dem heutigen Zeitgeist entsprechend ihren Weg geht. Sie beherrscht die stillen Momente genauso wie die angespannten, reitet, rennt und agiert als vollwertiges Mitglied ihres Stammes. Ihr Wort hat Gewicht! Schwester, Kriegerin, Ratgeberin und Verliebte – Nadine Menz gefällt in allen Momenten. Lediglich im Überschwang der Gefühle gerät ihre Interpretation doch etwas zu jugendlich modern und erinnert eher an einen verliebten Teenager. Manchmal ist weniger etwas mehr.
Fehlt also nur noch ihr Bruder Winnetou. Alexander Klaws verkörpert den Edelindianer zum dritten Mal und liefert dabei seine bisher beste Darstellung ab. Dies mag auch dem zu verkörpernden Wandel seines Charakters und Person geschuldet sein. Die Entwicklung vom seinen Weg suchenden Kronprinzen zum neuen obersten Häuptling kann man eben nur in Winnetou I durchlaufen. Doch dies gelingt Klaws gut. Er besitzt die notwendige Physis, die herausfordernden Kämpfe und schnellen Szenenwechsel zu meistern. Für einen großen Teil des Publikums fügt er sich damit nahtlos in die Reihe seiner erfolgreichen Vorgänger ein. Und doch fehlt uns noch ein Quäntchen – davon aber mehr in der großen separaten Betrachtung der Inszenierung.
Als indirekter Nachfolger von Peters in der Rolle des Old Shatterhand agiert erstmals Bastian Semm. Obwohl bereits 43 Jahre alt, agiert Semm mit jugendlicher Unbefangenheit. Sicher im Sattel, stark in den Zweikämpfen und mit dem Gefühl für die tragischen Momente spielt er einen eindrucksvollen jungen Helden. Hier bietet sich dem Veranstalter die Gelegenheit mit Semm eine neue Identifikationsfigur für die Bühne am Kalkberg zu entwickeln. Hoffentlich wird diese Chance wahrgenommen.
Als weitere Investition in die Zukunft darf auch die Verpflichtung von Volker Zack betrachtet werden. Mit einer gewissen Würde und einem trockenen Humor ausgestattet gefällt seine Interpretation des Westmanns Sam Hawkens. Unaufdringlich doch von großer Präsenz bewältigt er alle Herausforderungen. Auch wenn er gar keinen Text hat geht er doch in keiner Szene unter. Gemeinsam mit Stephan A. Tölle (ebenfalls langjähriges Ensemblemitglied und mittlerweile nicht mehr wegdenkbar) als Dick Stone und Livio Cecini (noch ein erfolgreicher Debütant am Kalkberg) als Will Parker bildet er ein wunderbar unterhaltsames „Kleeblatt“. Tölle und Cecini bleibt es in der Aufführung vorbehalten, für einen der besten Humormomente der Geschichte der Karl-May-Spiele zu sorgen. Auch wenn ihre Auftritte weniger der Romanvorlage als dem Einfallsreichtum Michael Stamps entstammen, gilt auch hier: bitte mehr davon. Eindrücke zu dem Kleeblatt wollen wir auch in einem eigenen Beitrag schildern.
Als einzige Frau neben Nscho-tschi darf Laura Hornung in einem kurzen Auftritt als attraktive Saloon Lady Lucille mit Will Parker alias Livio Cecini tanzen, singen und darüber hinaus mit Santer flirten. Hornung, die ebenfalls bereits seit einigen Jahren ein bekanntes Gesicht im erweiterten Ensemble der Karl-May-Spiele ist, bestreitet den kurzen aber stimmungsvollen Part sehr souverän und strahlt dabei eine gewisse Präsenz aus. Vielleicht dürfen wir sie in den kommenden Jahren in größeren Rollen erleben.
Die Fraktion des Bösen ist in diesem Jahr einzigartig breit aufgestellt. Am hervorstechendsten ist dabei die Rolle des Pida, seines Zeichens Sohn von Kiowa Häuptling Tangua. Der junge Krieger muss während der Aufführung ebenfalls einen Gewissenkonflikt und Wandel vollziehen. Es ist purer Genuss, ihm dabei zusehen zu dürfen. Anfänglich gänzlich vom Hass des Vaters auf die Einwanderer mitgerissen, zerreißt er das Band der Freundschaft zu den Apachen (Winnetou nennt ihn gar seinen Freund). Ungewöhnlich groß und als Gegenfigur zum edlen Winnetou konzipiert, ist Pida von dem Verlangen, die Erwartungen seines Vaters zu erfüllen und sein Volk zu schützen getrieben. Doch er hinterfragt immer mehr, ob der Zweck die Mittel heiligt. Diese Entwicklung zu verkörpern und dabei alle Facetten von Mitleid bis Hass zu präsentieren, zu reiten und zu kämpfen – all dies gelingt Sascha Hödl, der für viele schon die Entdeckung des Vorjahres war, als es galt den erkrankten Hauptdarsteller zu vertreten, in hervorragender Weise. In seiner wandlungsfähigen Spielweise hat er sich einen festen Platz im Ensemble der Karl-May-Spiele erarbeitet und gesichert. Er kann nicht, er ist bereits eine der neuen Identifikationsfiguren dieser Bühne und das Publikum empfängt und verabschiedet ihn mit großer Begeisterung. Es fällt nicht schwer, sich ihn auch noch einmal als Winnetou vorzustellen. Gemeinsam mit Semm würde er in jeder Hinsicht ein passendes Blutsbrüderpaar darstellen.
In der Rolle von Pidas Vater Tangua ist, wie bereits vorbeschrieben, ebenfalls Harald P. Wieczorek zu sehen. Wieczorek spielt einen Mann, der voller Hass auf die Veränderungen seiner Welt blickt und der von seinem Sohn blinden Gehorsam erwartet. Es gelingt dem Kalkberg-Veteran all dies überzeugend zu verkörpern. Dabei darf er gerne – wie der Volksmund sagt – noch eine kleine Schippe drauflegen. Es ist schade, dass ihm und Semm der finale Showdown versagt bleibt. Genau wie bei Pida wurde auch Tangua ein größerer Spielraum als in früheren Zeiten gegeben und das romangetreue Duell wäre das Sahnehäubchen gewesen.
Dustin Semmelrogge bleibt es in diesem Jahr vorbehalten, den widerwärtigsten Charakter der Inszenierung zu verkörpern: Rattler. Ein Schurke ohne Vornamen, der ohne jedes Mitgefühl selbstsüchtig und brutal seinen Weg geht und dabei für den Tod vieler Menschen verantwortlich ist. Semmelrogge erinnert zwar in Tonlage und Stimme an seinen berühmten Vater, der ebenfalls schon einmal im Sand dieser Arena stand, erzielt aber durch sein individuelles Spiel eine ganz andere und überzeugende Wirkung. Er verfügt über eine ausdrucksstarke Mimik, die von versoffener Blödheit bis hin zu gefährlich kaltem Kalkül alles ausdrückt, dabei textsicher und pointiert spielend. Semmelrogge gehört zweifelsohne zu den auffälligsten Darstellern dieses Jahres und darf hoffentlich an diese Spielstätte zurückkehren.
Bleibt noch das Gesicht, welches einem Millionen Publikum von frühabendlichen RTL Zuschauern so bekannt ist wie kaum ein zweites. Wolfgang Bahro in der Rolle des Karl May Schurken schlechthin: Santer! Wie so oft nicht als streunender skrupelloser Outlaw sondern als gewiefter und über Leichen gehender Geschäftsmann charakterisiert, spielt Bahro die Rolle mindestens so souverän wie seine TV-Legenden-Rolle des durchtriebenen Rechtsanwalts in „Gute Zeiten – schlechte Zeiten“. Wer diesen Ansatz akzeptiert, dem wird auch die Verkörperung Santers durch Bahro gefallen. Alles läuft mit einer gewissen Gemächlichkeit ab, Bahro ist kein Schurke, der sich actionreich durch die Szenen kämpft. Er verströmt auch nicht die fast animalische Gefährlichkeit eines Jochen Horst vor der Corona Zwangspause. Sein Spiel ist leiser, er ist die Spinne im Netz der Gefahren. Selbst wenn er Menschen erschießt geschieht dies einer nebensächlichen Selbstverständlichkeit. Dem Publikum hat es gefallen. Doch die Tatsache, dass neben ihm Semmelrogge/Rattler die starken und präsenteren Auftritte hat, während Bahro selbst einen Lacher nach dem anderen mit Anspielungen auf seine TV Rolle auslöst, nimmt der Figur etwas vom Nimbus des ultimativen Schurken.
Abschließend sei noch auf das stimmige Bühnenbild des Rückkehrers und Bühnenbildners Eric Rüffler verwiesen, der sich einigen Herausforderungen stellen musste und diese erfolgreich löste. Nicht zuletzt das Bühnenbild trägt zum optischen Genuss der Spiele bei.
Im Mittelpunkt des Poster Motivs, das erneut von Samson Goetze gestaltet wurde, steht die Morgendämmerung. Am Kalkberg dämmert eine neue Zeit heran. Ein neuer Regisseur, neue Gesichter und neue Ideen. Die eingeschlagene Richtung ist vielversprechend und wir können nur jedem empfehlen, sich selbst davon zu überzeugen.
3 Kommentare
Hallo, da ich am 24.06.2023 und den 25.06.2023
Live dabei war, muss ich sagen dass diese Auftritte Mega schön gewesen sind.
Mein Wunsch wäre noch ,das man von Winnetou Alexander Klaws eine Autogrammkarte bekommen würde.
Sie haben mehrere Möglichkeiten an Autgrammkarten zu kommen, käuflich sind diese im Rahmen der Vorstellungen in den Shops am Freilichttheater und am Indian Village zu erwerben, oder aber Sie besuchen eine der zahlreichen Werbeveranstaltungen in Bad Segeberg wo das Ensemble entsprechende AUtogrammkarten verteilt.
Wir freuen uns schon darauf ..das zu erleben..
Am 3. September..sind wir diese Jahr dabei..
Letztes Jahr waren wir auch da..
Mfg Veronika Janisch