Kein Geheimnis an der Felsenburg
Die Geheimnisse rund um die neue Inszenierung sind gelüftet, die ersten Spielwochen liegen bereits hinter uns. Nachdem wir die Eindrücke auf uns haben wirken lassen können, ist der Moment für eine kritische Betrachtung der diesjährigen Aufführung gekommen.
Die Darsteller…
…sind bekanntlich diejenigen, die uns die Geschichte präsentieren. Gastdarsteller Jochen Horst spielt den Oberschurken Melton mit einer Mischung aus selbstverständlicher Brutalität und jovialer Gelassenheit. Dabei schreckt er auch nicht vor gestenreichen Auftritten zurück ohne diese zu übertreiben. Gepaart mit einer stets der Situation angemessenen Stimme eine erstklassige Besetzung, die sich nahtlos in die Reihe der großen Schurkendarsteller der vergangenen Jahrzehnte am Kalkberg einreiht. Die kurzfristige Umbesetzung mit der Jochen Horst zum diesjährigen Gaststar avancierte kann nur als Glücksfall bezeichnet werden. In jeder Vorstellung versucht Horst außerdem mit kleinen Nuancen sein Spiel zu verändern, jedoch ohne seine Mitspieler zu verunsichern. Es ist schwer vorstellbar, dass Karsten Speck in dieser Rolle in solcher Weise hätte brillieren können. Good job, Mr. Horst. Christine Neubauer hat ihr Image vom braven bayrischen Madl endgültig abgelegt. Nachdem sie bei dem Mord an Hermann noch assistiert, zückt sie in der Folge selbst die Waffe und ermordet Wehrlose als wenn es selbstverständlich wäre. In den ersten Vorstellungen fiel lediglich auf, dass sie ihre kräftige Stimme teilweise so stark einsetzte, dass Jochen Horst dagegen schwer zu verstehen war. Manchmal ist weniger mehr – und dann ist es perfekt. Auf jeden Fall ist es ein Genuss, die bekannte Fernsehschauspielerin live am Berg zu erleben. Insgesamt interpretieren die beiden genannten ihr Gangster-Duo erfrischend anders als es 2005 Götz Otto und Saskia Valencia taten.
Die Gegenspieler der beiden Schurken sind die Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand. Deren Wirkung möchte ich als würdevoll routiniert beschreiben wollen. Jan Sosniok ist eins mit seiner Rolle. Souverän verkörpert er den obersten Häuptling aller Apachen, wirkt kraftvoll in den Kämpfen, sicher im Sattel und fehlerfrei im Dialog. Wenn er gemeinsam mit dem Adler auf der Bühne steht ist dies eines der schönsten Fotomotive die man sich denken kann. Leider bietet sich ihm keine Gelegenheit für eine besonders erinnerungswürdige Szene und die Vorbildfunktion für den namenlosen Mimbrenjo wird nur kurz angedeutet. An seiner Seite reitet Joshy Peters zum zehnten Mal als Old Shatterhand. Das Schöne dabei: der überzeugendste Old Shatterhand Darsteller der letzten 25 Jahre ist wieder da! Der einzige Darsteller, der Joshy Peters im Fransenhemd ebenbürtig war ist Wayne Carpendale aber für diesen war nach zwei Einsätzen ja leider bereit wieder Schluss. Der am Kalkberg ohnehin überaus beliebte Peters legt wahrscheinlich zum letzten Mal den Henry Stutzen an. Wenn er auf seinem (neuen) Rappen in die Arena reitet scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Bei näherer Betrachtung ist natürlich erkennbar, dass sein Einsatz etwas reduzierter scheint als früher aber das ist verschmerzbar und tut der Wirkung keinen Abbruch. Nach den eher faden Beiträgen von Till Demtröder und Ralf Bauer endlich wieder ein richtiger „Old“ am Berg. Das Blutsbrüder-Paar harmonisiert vom ersten Moment an und dies tut der gesamten Inszenierung gut. Es ist durchaus denkbar das Sosniok und Peters auch im nächsten Jahr das Blutsbrüderpaar geben dürfen.
Jeder Schurke hat Handlanger und die werden in diesem Jahr von Fabian Monasterios („Player“) und Nico König („Vete-Ya“) gespielt. Der erstgenannte kehrt nach zwei Jahren Pause, der Zweite nach einjähriger Pause an den Berg zurück. Beide haben sich in die Herzen der Zuschauer gespielt und es ist eine Freude, sie wiederzusehen. Und beide Rollen besitzen ein tragisches Element. Die unerwiderte Liebe für die Monasterios sein Leben gibt sowie die Tragik des ausgenutzten und betrogenen Häuptlings bei Nico König. Im Vergleich holt Monasterios mit seiner Interpretation mehr aus seiner Rolle heraus als Nico König. Monasterios lässt uns an seinen Gefühlen teilhaben. König sollte eigentlich zwischen dem devoten Handlanger, dem souveränen Häuptling der ein doppeltes Spiel treibt und dem enttäuschen, betrogenen Ausgestoßenen emotional changieren. Doch dies gelang ihm bislang nicht überzeugend. Nico Königs Interpretation fällt hier noch etwas gleichförmig aus und seine Interpretation weicht kaum von früheren Auftritten ab. Schade aber trotzdem schön.
A propos tragische Liebe. Melanie Böhm ist es vorbehalten, die Avancen des „Player“ in ihrer Rolle als Felisa abzuweisen. In ihrem ersten Jahr am Kalkberg verkörpert sie die zweite Frauenrolle in der diesjährigen Aufführung. Gesang, Tanz und ein hinreißendes Aussehen lassen sie überzeugend die junge Felisa verkörpern. Auch wenn die Frauenrollen bei Karl May eher dünn gesäht sind und die Bühnenautoren hier häufig eigene Ideen entwickeln müssen so würden wir uns doch über ein Wiedersehen mit der charmanten Darstellerin freuen. Ein gelungenes Debüt.
Ein solches feierte auch Sascha Hödl. Wenn gleich der Ersatz für den verletzten Max König so wirkte er wahrlich nicht wie ein solcher. Mit seiner eigenen kraftvollen Interpretation, vollem Körpereinsatz und einer einfühlsamen Stimme konnte er den zu Beginn noch namenlosen Mimbrenjo Indianer so gut interpretieren, dass ihm in der Premiere ein erstaunlich großer und warmherziger Applaus entgegenschlug. Bemerkenswert bei Sascha Hödl: Obwohl er bei der Premiere als einer der Hauptdarsteller auf der Bühne stand, ging er ins zweite Glied zurück und überzeugt auch da vollends. Als Stuntman und Komparse spielt Hödl in jeder Szene aktiv mit. Er nimmt Kontakt zu den Mitspielern auf, gestikuliert, kämpft um sein Leben, spielt mit seinen Waffen und faucht die Gegner an. Bei Sascha Hödl spürt man die Leidenschaft für das Spiel in der Arena weil er sich in Bad Segeberg seinen Karl May Traum erfüllt. Max König verkörpert nunmehr seit mehreren Vorstellungen den jungen Häuptlingssohn und wirkt in der Rolle nicht weniger überzeugend. Besonders die wenigen Szenen mit seiner Lebensgefährtin Melanie Böhm („Felisa“) üben auf das Publikum eine magische Wirkung aus. Mit Sascha Hödl in diesem Jahr und Max König im letzten Jahr haben die Verantwortlichen am Kalkberg zwei für diese Bühne extrem geeignete Schauspieler gefunden. Es ist für eine Beurteilung vielleicht noch zu früh aber diese Kombination erinnert an die Saison 1992. Damals standen erstmals die Kalkberg Veteranen Joshy Peters und Nicolas König gemeinsam auf der Bühne. Heute, 36 Jahre später, gehören beide noch immer regelmäßig zum Ensemble. Definitiv gemeinsam mit Melanie Böhm ein Darsteller-Block mit Potenzial für die Zukunft der Segeberger Bühne.
Die Abteilung „Attacke“ ist besprochen, auf geht´s zur Abteilung „Humor“. Diese wird auch in diesem Jahr maßgeblich durch Patrick L. Schmitz als Polizist Jose Sancho Gonzalez interpretiert. Schmitz beweist erneut seine Wandlungsfähigkeit und avanciert zur humoristischen Allzweckwaffe der Karl May Spiele. Dabei ist die Rolle und seine Interpretation nicht so aufdringlich wie im vergangenen Jahr was der Aufführung insgesamt sehr gut tut. Ab dem zweiten Viertel tritt mit Stephan A. Tölle als Jurisconsulto ein weiterer Kalkberg erfahrener Darsteller hinzu. Als mexikanischer Vorgesetzter kann Tölle keine besonderen Akzente setzen da er im Wesentlichen als Stichwortgeber für Schmitz agiert. Aber zuvor erleben wir ihn bereits als Auswanderer Hermann, der sich einen Zweikampf mit Oberschurke Melton liefert und dabei tragisch umkommt. Die Szenen mit Christine Neubauer und Jochen Horst sind darstellerisch wohl das Beste was man Tölle in den vergangenen Jahren angeboten hat und ich würde mich freuen wenn man ihm einmal mehr anbieten würde als die humoristischen Figuren. Beide Darsteller werden vom Publikum gefeiert. Mag auch nicht jedem der Humor gefallen: Dem Großteil der Besucher bereiten die Komödianten eine große Freude. Da tut es dann auch keinen Abbruch wenn der Autor sich vom „Schuh des Manitu“ hat inspirieren lassen.
Zu guter Letzt gilt es noch denjenigen Darsteller zu nennen, der durch Mehrfachbesetzungen wohl in den letzten Jahren mehr Rollen verkörpert hat als jeder andere: Harald Wieczorek. Erneut sind es drei Rollen die er lebendig werden lässt: der mexikanische Gastwirt Geronimo, der Haciendero Don Timoteo und der Häuptling Nalgu Mokaschi. Diese Aufgabe löst er mit der gelassenen Selbstverständlichkeit des langjährigen Profis. 70 Jahre ist er vor kurzem alt geworden – und man sieht es ihm wahrlich nicht an.
Ein außergewöhnliches Ensemble, dass eine kurzweilige und schnell inszenierte Version der Karl May Geschichte „Satan und Ischariot“ präsentiert. Michael Stamp ist erneut der Spagat gelungen, eine Romanvorlage zum zweiten Mal unterhaltsam zu adaptieren. Zwar entdeckt man diesmal einige Elemente die aus seiner Version von 2005 stammen. Doch da es sich um die effektvollsten Momente handelt der damaligen Inszenierung handelt und diese Aufführung schon sage und schreibe 13 Jahre zurückliegt, ist dies zu verschmerzen. Das künstlerische Team mit Regisseur Norbert Schultze jr, Stefan Tietgen und Michael Stamp hat erneut alle Möglichkeiten der Bühne genutzt. Besonders die Szenen in der der deutsche Einwanderertreck auf der Bühne zu sehen ist sind grandios. Wenn die acht Gänse in die Arena marschieren, sind die Besucher der Karl-May-Spiele völlig aus dem Häuschen. Das weiße Federvieh reagiert wie auf Knopfdruck. Wo sieht man solche Szenen sonst? Esel, Ziegen und mehrere Wagen runden das Bild ab. Die großen stimmungsvollen Bilder zu stellen gehört mit zu den besonderen Fertigkeiten des erfahrenen Regisseurs genauso wie die Untermalung der Szenen durch passende Musikstücke. Kenner der Bühne freuen sich schon seit Jahren darauf, mit welchen Titeln Norbert Schultze jr. die Abenteuer Winnetous unterlegt. In diesem Jahr darf aber auch Kritik geübt werden. Zwar kommt bei der großen Fiesta das Lied „Bamboleo“ von den Gypsy Kings beim Publikum erstaunlich gut an, aber der Klassiker wirkt in der Traumwelt Karl Mays doch deplatziert. Hier wäre ein etwas dezenterer Titel durchaus wünschenswert gewesen, aber wir jammern hierbei natürlich auf sehr hohem Niveau.
Zur Arbeit des Haus-Autoren Michael Stamp, möchten wir noch den einen oder anderen Satz verlieren. Stamp schafft es erneut das Grundgerüst der Romanvorlage auf die Bühne zu bringen. Ohne Zweifel angepasst an die Erwartungshaltung und das Sehverhalten des Publikums der heutigen Zeit. Aber mal ganz ehrlich: Auf welcher Bühne gibt es, mit Ausnahme der Bühnen in Rathen und Bischofswerda, Karl May Inszenierungen die so nah an der Vorlage sind und nicht von anderen Autoren abgeschrieben worden sind? Schaut man nämlich in den Süd-Westen und den Süden der Republik, konnte man in den letzten Jahren durchaus feststellen dass in weiten Teilen die Vorlage von Stamp genutzt wurde. Kurioserweise wurde dann die Karl May Nähe bejubelt, während der Segeberger Autor dann aber an anderer Stelle kritisiert wurde. Es bleibt festzustellen: Sollte irgendwann Michael Stamp in Karl May Rente gehen, wird er als DER Erfolgsautor der Segeberger Festspielgeschichte in einem Atemzug mit dem legendären Wulf Leisner genannt werden. Und mit was? Mit Recht!
So gesehen wirken die Karl May Spiele zeitlos, scheint man das Rezept für den dauerhaften Erfolg gefunden zu haben. Die Kasse ist gut gefüllt was sich in immer neuen und prächtigen Kostümen sowie einem Ausbau des Fuhrparks und großzügigen Kulissen wiederspiegelt. Reicht es auch in diesem Jahr zu einem neuen Besucherrekord? Dem Wachstum sind natürlich Grenzen gesetzt. Allenfalls die Nachmittagsvorstellungen bieten noch das Potenzial für größere Besucherzuwächse. Die einst so unerreichbar scheinende Zahl von 300.000 Besuchern schreckt niemanden mehr. Die konsequente und harmonische Zusammenarbeit der Verantwortlichen garantiert den Erfolg – und das seit Jahren. Doch wie lange noch? Die Tage des Triumvirats Schultze jr., Tietgen und Stamp scheinen gezählt angesichts des Alters des Regisseurs. Was kommt danach? Noch kann sich dies kaum jemand vorstellen doch im Hintergrund wird man sich gewiss die Frage bereits stellen. Und ich selber frage ich mich: wo ist die Zeit geblieben? 2005 besuchte ich mit meinen Söhnen die Aufführung „Winnetou und das Geheimnis der Felsenburg“, heute interessieren sich der 22 und 18 jährige für andere Dinge. Ein wenig Wehmut liegt in dieser Feststellung. Doch eines steht fest, die Karl May Spiele werden sie wahrscheinlich irgendwann mit ihren eigenen Kindern besuchen denn ihrer Faszination kann sich kaum einer entziehen, der einmal dort gewesen ist. Und außerdem: Wild West Reporter Nachwuchs ist unterwegs und sollte schon in wenigen Jahren auch begeistert sein. Der Mythos des Kalkberg lebt erfolgreicher denn je und die diesjährige Aufführung wird die Erfolgsgeschichte fortschreiben. Karl May lebt am Segeberger Kalkberg und das Publikum honoriert dieses mit Besucherzahlen die den Verantwortlichen in all ihren Entscheidungen Recht geben. Wer weiß, vielleicht hätte dieses Team den „Mythos Winnetou“ auch im TV erfolgreich aufleben lassen können.
Troisdorf,Leutkirch: ah,hgs, 06.08.18