Die Geschichte von „Winnetou I“ ist in Rathen schon mehrfach gespielt worden. Die Urfassung des auch diesem Stück zugrundeliegenden Textbuches stammt aus der Feder von Olaf Hörbe. Sie war drei Jahre lang (2004-2006) sehr erfolgreich an der Felsenbühne zu sehen, damals mit Jean-Marc Birkholz als Winnetou und Jürgen Haase als Old Shatterhand, das erwähnte Hörspiel erschien parallel dazu.
Von 2015-2019 wurde die überarbeitete Fassung von Manuel Schöbel gezeigt, mit wechselnden Besetzungen. Winnetou spielte damals bereits Michael Berndt-Cananà, zudem wurde die Rolle zwischenzeitlich von Peter Mohr übernommen. Jürgen Haase und Holger Uwe Thews waren in der Rolle des Old Shatterhand zu sehen. Seit 2015 wird das Landesbühnen-Ensemble durch das Stuntteam AWEGO ergänzt, welches für Pyrotechnik, Stunts und Kampfchoreographie zuständig ist und so ein wenig mehr Action in das Stück bringt.
Aufgrund des derzeitigen Umbaus der Felsenbühne wurde die kleine Spielstätte im Lößnitzgrund geschickt in die verbliebenen Kulissen der Westernstadt Little Tombstone eingefügt, die sonst als zentraler Mittelpunkt des alljährlichen Karl-May-Festes dient. Passend zur Eisenbahngeschichte der Inszenierung war anfangs das Pfeifen der Lößnitzgrundbahn zu hören, die hinter der Spielstätte vorbeifährt. Die Spielfläche an sich erwies sich als überraschend groß, wenn auch etwas kleiner als die auf der Felsenbühne. Als Begrenzung zu den Zuschauerreihen gab es lediglich eine Absperrung aus grünweißen Balken, welche sich aber für die ersten beiden Sitzreihen als störend erwies. Vielleicht sollte man überlegen, auch diese zu erhöhen, um einen besseren Blick auf die Bühne zu gewährleisten.
Das Stück wurde mit einer gelungenen Ensemble-Szene eröffnet. Während die Schauspieler sich in ihren Rollen dem Publikum vorstellten, erklang das Bruderlied, welches die Aufführung umrahmte:
„Die Brüder ziehen los im Streit,
Zorn im Bauch und Traurigkeit.
Soll die Welt sich weiterdreh’n,
alles stets so weitergeh’n?
Das Blut von ihm auch in dir fließt,
sein Denken auch das deine ist.
Das macht nun, dass er nie vergisst:
Ein Bruder ist ein Bruder,
bleibt ein Bruder.“
Dieser Text macht die Intension deutlich, welche Manuel Schöbel mit seiner Überarbeitung verfolgt: Bei einer Freundschaft zwischen zwei Menschen aus verschiedenen Kulturen geht es nie ganz ohne Probleme oder Missverständnisse ab. Diese Thematik wird meiner Meinung nach vor allem in der Schlussszene deutlich.
Nach dem originalgetreuen Greenhorn-Monolog von Old Shatterhand beginnt die Geschichte in St. Louis. Dort werden wichtige Charaktere eingeführt, wie der Büchsenmacher Mr. Henry, der Westmann Sam Hawkens mit seinen Gefährten Dick Stone und Will Parker sowie natürlich das Greenhorn, das alle Anwesenden mit seinen Fähigkeiten überrascht und dann von Mr. Henry als Landvermesser mit Sam Hawkens in den Wilden Westen geschickt wird. Auch erscheinen hier erstmals Intschu tschuna, Winnetou und Klekih-petra, welche durch die Stadt reiten und schon hier auf das Greenhorn einen unauslöschlichen Eindruck machen.
Allerdings erschließt sich mir der Sinn der hier erstmals auftretenden Mädchenband nicht wirklich, unabhängig von der Darbietung des Bruderliedes. Sie wirkt wie ein unnötiger Füllstoff. Mehr ist daher manchmal leider auch weniger.
Es ist außerdem im Verlauf des ersten Teils für Karl-May-Kenner irritierend, dass Winnetou die Silberbüchse bereits von Anfang an besitzt, denn eine Erklärung wird dem Zuschauer nicht geliefert. Intschu tschuna erwähnt lediglich, dass Winnetou der Kriegshäuptling der Apachen ist. Eine Übergabe der Silberbüchse in der ohnehin geänderten Sterbeszene, auf die ich noch zu sprechen komme, wäre da deutlich wirkungsvoller gewesen. Doch dazu später.
Das 6. Bild beginnt im Pueblo, in welchem Old Shatterhand und seine drei Freunde gefangen gehalten werden. Hierbei ist es sehr interessant, Winnetou im Hintergrund zu beobachten, der aufmerksam die Begegnung zwischen Old Shatterhand und Nscho-tschi verfolgt. Seine Nachdenklichkeit ist ihm deutlich anzumerken, auch in den folgenden Gesprächen mit Nscho-tschi.
So sind einerseits die wirklich gelungenen zusätzlichen Gespräche und Auftritte zwischen den Geschwistern, in denen es um den Fortschritt bei den Apachen geht, positiv hervorzuheben, aber andererseits gerät dadurch die Liebe Nscho-tschis zu Old Shatterhand völlig in den Hintergrund bzw. wird eigentlich gar nicht thematisiert Auch die Reise nach St. Louis bekommt nun einen ganz anderen Kontext. Zwar wird auch in der eigentlichen Buchfassung von Olaf Hörbe, die sich vorsichtig entwickelnde Liebe zwischen Old Shatterhand und Nscho-tschi nur angedeutet und beschränkt sich auf die gemeinsame Szene im Pueblo, wurde dann zumindest nach dem Tod von Nscho-tschi in einem kurzen Dialog der Blutsbrüder noch einmal aufgegriffen. In der früheren Stückfassung hatte es noch eine kurze Szene gegeben, in der Old Shatterhand Nscho-tschi einen Blumenstrauß überreichte. Diese wurde inzwischen gestrichen, da sie absolut unrealistisch war.
Die Szenen um das Liebesgeplänkel zwischen Sam Hawkens und Kliuna-ai im Pueblo sind eigentlich gut gemacht, werden aber durch das viel zu dralle Hinterteil der Indianerin, das immer wieder in den Vordergrund gestellt wird, zu sehr ins Lächerliche gezogen.
Interessant und wirklich gelungen hingegen finde ich die zusätzliche Rolle des Medizinmannes, der gegen eine Verbindung zwischen Old Shatterhand und Winnetou ist und die Blutsbrüderschaft der beiden ablehnt. Er fungiert damit als Gegenspieler zu Klekih-petra, der Old Shatterhand sterbend bittet, Winnetous Freund zu werden.
Der Zweikampf zwischen Old Shatterhand und Intschu tschuna mutet ein wenig seltsam an. Gut umgesetzt dagegen finde ich die Symbolik mit der Streitaxt, die Old Shatterhand ehrfürchtig betrachtet, bevor er sie seinem besiegten Gegner zurückgibt.
Auch die Sterbeszene ist zu Lasten der Buchnähe geändert worden. Intschu tschuna wird, unbemerkt von Winnetou und Old Shatterhand, tödlich verletzt, kniet aber noch minutenlang am Boden, während Nscho-tschi in den Armen ihres erschütterten Bruders stirbt. Dieser bemerkt die tödliche Verletzung seines Vaters erst, als dieser seinen Racheschwur unterbricht und dann stirbt. Hier wäre die Übergabe der Silberbüchse dramaturgisch sehr wirkungsvoll gewesen. Die ursprüngliche Szene mit dem Racheschwur und dem erregten Dialog zwischen den Blutsbrüdern entfällt dadurch, was sehr bedauerlich ist, da sie für mich eine der Schlüsselszenen in der Geschichte und prägend für die Blutsbrüderschaft ist. Man gewinnt den Eindruck, dass der Tod von Nscho-tschi und Intschu tschuna die Blutsbrüder eher entzweien als vereinen würde, denn am Ende dieser Szene wird Shatterhand von Winnetou mit einem harten: „Geh, Bleichgesicht!“ fortgeschickt, während er ihm im nächsten Moment: „Bleib nicht zu lange in den Städten des Ostens! Kehre bald zu mir zurück! Versprich mir das, mein Bruder Scharlih!“, nachruft. Ein Umschwung, der trotz des dazu intonierten Bruderliedes nicht wirklich nachvollziehbar ist.
Ein Großteil des Ensembles ist den Zuschauern der Felsenbühne in Rathen bekannt. Jürgen Haase steht die Rolle des Santer viel besser zu Gesicht als 2018 noch die des Old Shatterhands. Er war mir damals einfach schon zu alt für diese Figur. Seine oftmals sehr ironische, fast schon arrogante Art zu spielen erweist sich beim diabolischen Santer deutlich passender als in seiner Shatterhand-Darstellung. Natürlich entspricht diese Art ein Stück weit der Buchvorlage. Es war für mich ein Hochgenuss, Jürgen Haase nach seiner grandiosen Darstellung des Old Wabble im Stück „Old Surehand“ nun in dieser Bösewicht-Rolle zu erleben.
Grian Duesberg ist ein Sam Hawkens wie aus dem Buche Karl Mays, ein pfiffiger und listiger Westmann, was ich persönlich sehr ansprechend fand. Es ist allerdings bedauerlich, dass ausgerechnet die Charaktere Dick Stone und Will Parker dabei zu Witzfiguren verkommen. Von der kurzen albernen Szene vor der Pause will ich gar nicht erst sprechen.
Auch Thomas Förster überzeugte mich in zwei unterschiedlichen Rollen, als souveräner Büchsenmacher Mr. Henry und als stets betrunkener Mr. Bancroft.
Michael Berndt-Cananà begeisterte schon von Anfang an in der Rolle des Winnetou. Sie passt sehr gut zu ihm, was ich direkt nach seiner gelungenen Darstellung des Apanatschka in „Old Surehand“ vermutete. Er versteht es, diese Figur mit wenigen Worten, aber durch eine eindringliche Spielweise, oftmals nur im Hintergrund einer Szene, zu verkörpern. Im Zusammenspiel mit Julia Vincze (Nscho-tschi) werden ausdrucksstarke Momente in Szene gesetzt. Besonders bewegend war die Sterbeszene von Nscho-tschi, in der er seine tiefe Trauer zeigen durfte.
Herausragend für mich war die Darstellung des Old Shatterhand durch den mir unbekannten Gast Jan Baake. Er hat mich mit seiner souveränen Verkörperung dieses Charakters überzeugt und fasziniert, auch wenn er mich in seinem Spiel hin und wieder an Jürgen Haase erinnert hat. Jan Baake agierte sehr ausdrucksstark und facettenreich, nicht nur mit seiner sonoren Stimme, sondern auch mit Mimik und Gestik. Er zeigte eine starke Bühnenpräsenz, gerade auch in Szenen, in denen er im Hintergrund spielt. Eindrucksvoll war beispielsweise der kurze Moment als der im Gebet vertiefte Old Shatterhand. Dieser passt zu dem späteren Gespräch zwischen den Blutsbrüdern: „Sprich nie von mir zum Glauben!“ nach dem Knieschuss von Winnetou.
Leider gibt es insgesamt nur wenige Dialoge zwischen Winnetou und Old Shatterhand. Sehr emotional wirkte auch die Szene, in der Old Shatterhand völlig erschüttert um Nscho-tschi trauert. Er spielt sie im Vergleich zu Jürgen Haase etwas verhaltener im Hintergrund, aber nicht minder ausdrucksstark.
Bei meinem zweiten Vorstellungsbesuch hatte Jan Baake in seinem Spiel sogar noch einmal zugelegt, was mich sehr beeindruckt hat. Er erwies sich als eine Bereicherung für das Ensemble, sodass ich ihn gerne erneut in anderen Rollen an den Landesbühnen Sachsen, aber vor allem als Old Shatterhand in weiteren Karl-May-Inszenierungen sehen würde.
Leider ist durch die dramaturgische Überarbeitung von Manuel Schöbel einiges von dem verloren gegangen, was die Inszenierung aus der Feder Olaf Hörbes ursprünglich ausgemacht hat.
Alles in allem aber bleibt sie trotzdem sehenswert.
Nach dem Erfolg des Stückes „Winnetou I“ fände ich einen „Winnetou III“ oder sogar die Trilogie mit einem Stoff zu „Winnetou II“ erfreulich, da die Inszenierungen der Landesbühnen Sachsen und vor allem die Bücher von Olaf Hörbe bekannt sind für ihre Buchnähe
Text : Regine Kinder u. Katrin Ebel
Fotos (Vorstellung 3.6.+11.6.): Regine Kinder