Der zweite Akt setzt einige Zeit nach dem Überfall des Bahnarbeiterlagers ein. Nscho-tschi hat den schwer verletzten Old Shatterhand gesund gepflegt. An einem Bachlauf gesteht der gesundete Old Shatterhand der jungen Apachin, dass er große Zuneigung zu ihr empfindet. Doch die Uhr tickt, auf Old Shatterhand und die anderen Gefangenen wartet der Marterpfahl. Nscho-tschi bricht auf, um den Beweis für Old Shatterhands Unschuld zu finden. Doch alles scheint zu spät, Old Shatterhand findet sich bald darauf gemeinsam mit Rattler am Marterpfahl wieder. Es kommt, wie es kommen muss, der junge Westmann darf um sein Leben und das seiner Gefährten kämpfen. Allerdings hat er dies weniger seiner geschickten und wortgewandten Verteidigung zu verdanken, als dem Großmut seines künftigen Blutsbruders, der Klekih-petras Erbe eher durch ein Gottesurteil gewahrt sieht als durch eine blinde Marterung aller Gefangener. In der Folge muss Old Shatterhand zunächst gegen Intschu-tschuna bestehen, sowie in einem Zweikampf mit Winnetou siegen. Bei ersterem kann er durch eine List die Oberhand behalten. Doch im anschließenden Zweikampf obsiegt der Apache. Jedoch schont Winnetou Old Shatterhands Leben, da sich dieser zuvor weigerte nach Entwaffnung Winnetous seinen Vorteil zu nutzen und mit dem eigenen Kriegsbeil weiterzukämpfen. Genau in diesem Moment taucht Nscho-tschi mit der Jacke Old Shatterhands auf, die den Beweis für seine Unschuld enthält: ein Medaillon Winnetous, das ihm der Weiße während der Befreiung im Kiowa Lager entwendete. Winnetou zeigt sich beeindruckt und bietet dem jungen Westmann die Blutsbrüderschaft an.
Besondere Überraschungen bietet der zweite Akt bis hierher keine, entspricht die Handlung doch im Wesentlichen der Handlung des Romans. Die große Hoffnung, einen Zweikampf zwischen Intschu-tschuna und Old Shatterhand endlich einmal erleben zu dürfen, erfüllt sich leider auch in diesem Jahr nicht. Dies ist besonders bedauerlich für Joshy Peters alias Intschu-tschuna, da ihm somit keine Gelegenheit geboten wird, sich gewohnt kämpferisch zu zeigen.
Während sich die Apachen zur Vorbereitung der Zeremonie zurückziehen, trifft sich Santer mit Kiowa-Häuptling Tangua. Santer bittet die Erzfeinde der Apachen um Unterstützung bei der Befreiung seines Handlangers Rattler. Er spekuliert darauf, dass dieser während seiner Gefangenschaft näheres über die geheimen Goldvorkommen der Apachen in Erfahrung bringen konnte. In dieser Szene kann sich Wolfgang Bahro überzeugend und ganz dem gewohnten Rollenprofil seiner RTL-Tätigkeit folgend, als skrupelloser Geschäftsmann und Verhandlungsführer präsentieren. Häuptlingssohn Pida aber wendet sich von dem eigenen Vater, der sich um einiger Gewehre willen kaufen lässt, ab. Auch die Drohung Tanguas, ihn aus dem Stamm auszustoßen kann die Entschlossenheit des jungen Kriegers nicht erschüttern. Als Pida davonreitet, schreit Tangua dessen Namen voller Zorn und Enttäuschung in die Prärie hinaus. Erneut ein gelungenes ausdrucksstarkes Zusammenspiel der „dunklen“ Fraktion. Der dem Überfall entronnene und sich unter Verbündeten wähnende Sam Hawkens, muss dem finsteren Bündnis machtlos zusehen. Sein Protest wird kurzerhand dadurch erstickt, dass er auf Befehl Santers gefangen genommen und in das Eisenbahnerlager zurückgebracht wird. Ein herrliches Bild, wenn der zeternde und einen Kopf kleinere Volker Zack sich gegen die Schurken stemmt, die ihn davontragen. Doch die Rettung ist nah…zumindest ist sie in Planung.
Dick Stone und Will Parker beobachten das Lager und haben die Gefangennahme von Hawkens wahrgenommen. Völlig überraschend unterbreitet der sonst so ungeschickte Will Parker dem skeptischen Dick Stone einen gewagten Rettungsplan, eine „unmögliche Mission“. Was nun folgt ist sowohl dramaturgisch als auch in der Darstellung ein Meisterstück des Autoren- und Regiegespanns. Zu der weltberühmten „Mission Impossible“-Melodie von Lalo Schifrin beschreibt Will Parker lebhaft seinen Plan während im Hintergrund zwei identisch gekleidete Männer die humorvolle und lustige Befreiungsaktion durchführen. „Ja, das könnte funktionieren.“, konzediert zum Ende der Szene der sonst so misstrauische Dick Stone ohne dabei zu bemerken, dass der befreite Sam Hawkens tatsächlich schon hinter ihnen steht. Logik spielt hier keine Rolle, die Idee wird von Stephan A. Tölle und Livio Cecini wundervoll umgesetzt und auch die im Hintergrund agierenden Doubles spielen mit Inbrunst ihre Rolle. So trägt sich die Szene von ganz allein und die Ausgefallenheit dieser Minuten begeistert das Publikum gänzlich. Der vielleicht schönste Einfall einer humorvollen Einlage die Hausautor Michael Stamp je aus der Feder geflossen ist.
Kaum ist der letzte Lacher verhallt, entfaltet sich bereits das nächste große Bild: vor dem Pueblo der Apachen versammelt der ganze Stamm, um der Zeremonie der Blutsbrüderschaft beizuwohnen. Es ist ein Moment voller Harmonie und Friede, perfekt inszeniert und getragen von (durchgängig) guter musikalischer Untermalung. Die Textzeilen sind in weiten Teil dem Roman entnommen und der Mayster selbst dürfte an der Adaption dieses Moments keinen Anstoß genommen haben. Bastian Semm, Alexander Klaws, Nadine Menz und nicht zuletzt der Zeremonienmeister Joshy Peters – sie alle lassen sich von diesem Augenblick gefangen nehmen. Im Anschluss daran werden zwei weitere entscheidende Kernmomente der Geschichte präsentiert. Es ist dem engen Zeitfenster geschuldet, dass der erste Moment (Old Shatterhand erhält seinen Rappen Hatatitla zum Geschenk) eher knapp ausfällt. Dafür aber nimmt der zweite emotional wichtigere Augenblick größeren Raum ein: mit Billigung Winnetous offenbart Old Shatterhand der Häuptlingstochter seine Gefühle. Ein junger Mann, der seinen Platz unverhofft in der Fremde gefunden und dort auch noch sein Herz verloren hat. Bastian Semm spielt dies mit jugendlicher Unbedarftheit und lässt seinen Glücksgefühlen freien Lauf. Auch Nadine Menz alias Nscho-tschi steht dem in nichts nach und lässt sich in ihrer Darstellung vielleicht ein wenig zu sehr mitreißen. Als stolze Tochter der Apachen hätte man vielleicht weniger teeny-hafte Reaktionen bzw. Formulierungen erwartet. Aber der Zuschauer gönnt den beiden diesen Glücksmoment, erfreut sich daran, an diesem teilhaben zu dürfen und belohnt den überfälligen ersten Kuss mit großem Applaus. Die anschließende Bitte Nscho-tschis um Gold für eine Reise in die Städte der Weißen, die von Bastian schlaksig mit einem „Ich hab´ versucht es ihr auszureden.“ unterbrochen und von Intschu-Tschuna mit einer lässigen „Vergeblichen Mühe.“ lässig beantwortet, wirkt auch ungewohnt modern. Eine Schülerin, die um Erhöhung des Taschengeldes bittet – aber so läuft es halt heute im Wilden Westen. Zeit ist Geld! Vater und Tochter reiten direkt zum geheimen Golddepot, Sohn Winnetou wird angewiesen in der Zwischenzeit schon mal Rattler den verdienten Martertod zu bescheren.
Auch hier erneut ein blitzschneller Wechsel der Szenerie, schon sieht sich Dustin Semmelrogge alias Rattler am Marterpfahl. Dies alles geschieht so schnell, dass man fast meinen will, die erschrockene Überraschung im Gesicht von Semmelrogge wäre echt. Seine Darstellung des Handlangers wirkt auch ohne Text und Dialog. Wie erwartet lässt sich Rattler nicht überreden, seine Taten zu Gunsten eines schmerzlosen Tods zu bereuen. Doch bevor es zur Marterung kommt, treffen nacheinander Pida und das Kleeblatt ein, um vor dem anstehenden Überfall der Kiowa zu warnen. Zu spät! Bevor noch irgendeine Abwehrmaßnahme getroffen werden kann, brechen die Kiowas aus allen Ecken des Theaters hervor. Abseits des Geschehens gelingt es Santer, sich anzuschleichen und die Verwirrung zur Befreiung Rattlers zu nutzen. Das Kampfgewühl ist so dicht, dass der Betrachter kaum allen Einzelheiten folgen kann. Aber auch hier ist die Intensität der Choreografie spürbar, springen und fliegen die Kämpfer mit vollem Einsatz durch die Luft und ringen erbittert miteinander. Das Kleeblatt präsentiert seine eigenen illustren Strategien. Auf dem Höhepunkt des Kampfes legt Tangua das Gewehr auf den eigenen, für ihn zur Enttäuschung geratenen, Sohn an. Reaktionsschnell feuert Old Shatterhand auf den Kiowa-Häuptling und verletzt ihn schwer. Damit endet auch der Kampf. Pida ergreift die Gelegenheit und schwingt sich zum Anführer seines Stammes auf. All dies läuft rasend schnell ab und es ist schade, dass just der Moment, da es zur selten gezeigten direkten Konfrontation zwischen Tangua und Old Shatterhand kommt, dies in einem einfachen Schusswechsel endet. Semm und Wieczorek hätten gewiss eine Szene voller Hass und Emotion daraus gemacht.
Stattdessen eilen die Apachen ihrem Häuptling hinterher. Denn die Flucht Rattlers und das Wissen, dass dieser ja die Absichten von Intschu-tschuna wahrgenommen hat, lässt das Schlimmste befürchten. So kommt es, dass (im Gegensatz zum Roman) Intschu-tschuna und seine Tochter am Nugget-tsil (übrigens latent von den Mitwirkenden als NUGGETS HILL ausgesprochen) auf Santer und Rattler stoßen. Man sollte annehmen, dass es die große Szene für Wolfgang Bahro alias Santer wäre. Ist es aber nicht! Die Szene wird beherrscht von Joshy Peters alias Intschu-tschuna, der verzweifelt nach einem Ausweg suchend in die Ferne blickt und versucht, durch Preisgabe des Geheimnisses das Leben seiner Tochter zu retten, der ein grinsender hämischer Rattler eine Waffe an den Kopf hält. Als dann die tödlichen Schüsse fallen, sieht man ihn schwer verletzt im Sand zu seiner Tochter kriechend, voller Entsetzen flüsternd „Mein Kind! Mein Kind!“. Was für eine Szene!
Winnetou und Old Shatterhand können nur noch entsetzt zu den Sterbenden eilen, Winnetou zu seinem Vater, Old Shatterhand zu seiner Liebsten. In tragischer Weise wechseln die Dialoge hin und her, der sterbende Vater und sein Sohn, die sterbende Tochter mit dem Mann ihres Herzens. Alexander Klaws bewahrt der Rolle entsprechend die Fassung, doch auch in seiner Stimme schwingt Schmerz mit. Bastian Semm kann und darf seiner Trauer mehr freien Lauf lassen. Starr den Blick in die Ferne gerichtet, kann der Zuschauer sich kaum von seinem Anblick losreißen. Was für Gedanken gehen ihm wohl durch Kopf? Das Gesicht eine einzige Maske aus Ungläubigkeit, Entsetzen, Trauer. Selten wurde dieser tragische Moment am Nugget-tsil so intensiv ausgespielt. Erneut beweist sich, wie gut Semm und Klaws hier als Blutsbrüder funktionieren. Der junge Apache richtet das Wort an seine Krieger und reckt zum Schluss die Silberbüchse in den Abendhimmel. Er ist der neue Häuptling aller Apachen. Mit einem solchen Moment hätte die Aufführung schon zu Ende gehen können und niemand wäre angesichts der großen Gefühle traurig gewesen.
Aber da fehlt noch etwas – ach ja, die gerechte Strafe für die Mörder. Man fragt sich, was diese in der Zwischenzeit getrieben haben. Diese unausgesprochene Frage beantwortend, erscheinen beide am Fuße der Felsen. Santer findet den von Intschu-tschuna zuvor verratenen Ort an dem das Einfügen der Häuptlingslanze einen Mechanismus betätigt, der den Zugang zu dem verborgenen Golddepot öffnet. Wie auch schon früher artet das Finale in ein Jump-and-Run Spektakel à la Indiana Jones aus. Nicht im Sinne des Karl May Puristen aber üppig anzuschauen. Mystische Flammenstöße, zusammenbrechende Hängebrücken und ein Winnetou der sich entscheiden muss, den Blutsbruder aus einer lebensgefährlichen Situation zu retten oder die Mörder zu verfolgen. Denn diesen beiden scheint tatsächlich die Flucht zu gelingen. Über die gespannten Drähte einer Telegrafenlinie (wie kommt diese an den Nugget-tsil!?) wollen Santer und Rattler in die Freiheit rutschen. Während Rattler allerdings in der Mitte der Strecke die Kontrolle verliert, abstürzt und dabei der mitgeführte Sprengstoff explodiert, gelingt es Santer wohlbehalten das Ende der Leitung zu erreichen, sich auf ein Pferd zu schwingen und im Galopp zu entkommen. Der aus dem Nichts heraus ihm nachreitende Pida kann nur noch einige Schüsse hinter dem Flüchtenden abfeuern – freilich ohne diesen zu treffen.
Die Bilanz fällt bescheiden aus, die Liebsten tot, der Mörder entkommen. So löst sich das Schlussbild auch schnell auf. Das Kleeblatt gibt sich auf einem ausgebrannten Planwagen den Mörder verfolgend noch kurz die Ehre. Pida, der neue Häuptling der Kiowa scheidet im Frieden von den Blutsbrüdern und kehrt zu seinen Kriegern zurück. Was bleibt ist der Wunsch und die Hoffnung der beiden Blutsbrüder, durch ihr Tun die Welt ein klein wenig besser machen zu können. Doch während die beiden Darsteller zu der bekannten Melodie unter donnernden Applaus abreiten geschieht etwas, was der beeindruckenden Aufführung noch die Krone aufsetzt. Harald P. Wieczorek alias Karl May tritt noch einmal aus dem Schatten des Felsens hervor, im Spotlight für alle erkennbar und grüßt mit einem verklärten Gesichtsausdruck die von ihm erdachten Helden. In diesem kurzen Augenblick liegt alle Aufmerksamkeit auf dieser einsamen Figur. Sinnbild und Schöpfer einer unsterblichen Geschichte. Eine fulminante, spannend und unterhaltsam dargebotene Aufführung ist zu Ende. Doch sie lädt wie kaum eine andere zum Wiederkommen ein. Farewell, Scharlih!
Text: Andreas Hardt