„Burgrieden – das Karl May Mekka“. So betitelten wir vor einem Jahr unsere Kritik zur
Inszenierung von „Old Surehand“. In Schulnoten eine glatte 1 für eine perfekte Leistung.
Schon die Inszenierung „Im Tal des Todes“ 2019 war rundum gelungen und ließ das große
Potenzial der Festspiele Burgrieden erahnen. Mit der Ankündigung „Winnetou III“ aufführen
zu wollen, hatte wohl jeder das Gefühl zu wissen, was der Zuschauer erwarten darf: ein
Drama, das mit der Ermordung des edlen Apatschen endet. Zurückblickend stellt man fest,
dass dieser Roman sehr selten den Weg auf die Bühne gefunden hat: in Bad Segeberg
zuletzt zum Abschied des langjährigen Kultdarstellers Gojko Mitic, in Elspe 2019 nach 22
jähriger Abstinenz und weit entfernt von der Romanvorlage. Fast alle Inszenierungen,
einschließlich der Verfilmung, haben eines gemeinsam: die Darstellung endet mehr oder
weniger mit dem Tod Winnetous. Die im Roman enthaltene weitergehende Geschichte
wurde fast nie erzählt. Regisseur und Autor Michael Müller hat sich bei Amtsübernahme in
Burgrieden zum Ziel gesetzt Karl May werkgetreu und trotzdem modern zu präsentieren. Er
erklärte daher sehr früh, seine Inszenierung nicht in bekannter Form enden zu lassen,
sondern die Folgehandlung, die in der Jagd nach Erzschurke Santer gipfelt, ebenfalls zu
präsentieren. Folgerichtig wird der Zuschauer in Burgrieden mit dem Tod Winnetous in die
Pause verabschiedet. Mutig und konsequent zugleich, setzt man im zweiten Akt ganz auf die
Jagd nach Winnetous Testament. Keine Bühne hat es bisher gewagt die Identifikationsfigur
Winnetou so früh aus der Handlung heraus zu nehmen. Kann das funktionieren? Wird das
vom Publikum akzeptiert? Ja! Wird es! Bedenkt man, dass das Sprichwort „Ned gschimpft
isch globt gnua“ (Nicht geschimpft ist gelobt genug) in der Region um Burgrieden
gebräuchlich ist, so kann man die Standing Ovations, der sonst so nüchternen Schwaben,
umso besser einordnen. Das Publikum reagiert begeistert auf die Inszenierung und auch wir
haben uns von ihr in ihren Bann ziehen lassen. Intensive Gefühle ohne falsches Pathos,
spannende Momente mit offener und ehrlicher Nähe zum Werk Karl Mays. Hier steht nicht
das Spektakel, sondern das Spiel und die Geschichte im Vordergrund. Der Zuschauer darf
sich auf eine Bühne freuen, die somit ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Wer Karl May auf
höchstem Niveau erleben möchte, kommt um einen Besuch nicht herum. Hiermit könnten
wir den Artikel abschließen, werden aber noch etwas ins Detail gehen.
Zur Handlung:
Im ersten Akt erleben wir die Jagd der Blutsbrüder auf die Railtroublers, den Angriff auf das
Siedlerdorf Helldorf Settlement, deren Verschleppung und Befreiung am Hancock Berg
sowie den Tod Winnetous. Hier enden die meisten Aufführungen. Nicht in Burgrieden! Im
zweiten Akt steht Winnetous Testament und die damit verbundene Auseinandersetzung mit
Erzschurke Santer, die Gefangenschaft bei den Kiowas, das Wiedersehen mit dem
ergrauten Tangua und das spannende Finale am Deklil-to im Zentrum der Erzählung.
Man merkt bereits an dieser knappen Zusammenfassung, dass sich die Inszenierung sehr
nah an der literarischen Vorlage bewegt und nicht zu einer romantisierenden
Kitschveranstaltung verkommt. Es braucht eben keinen erfundenen Opfertod mit Winnetou
als menschlicher Schutzschild. Ebenso braucht es keine Auferstehung a la „Helden sterben
nie“. Winnetou stirbt im Kampfgetümmel, getroffen von einer anonymen Kugel abgefeuert,
von einem unbekannten Schützen. Regisseur Müller hat es perfekt verstanden, den
Superhelden aus der Feder Karl Mays zu vermenschlichen und bringt dadurch einen ganz
eigenen Zauber auf die Bühne. Dieser Moment wird durch eine vorherige Szene perfekt
vorbereitet, in der Winnetou seinem Blutsbruder von der Todesahnung berichtet. Minuten in
denen das Publikum ergriffen lauscht, in denen man die berühmte Stecknadel zu Boden
fallen hören kann. Keine Effekthascherei sondern nur ein ehrliches und offenes Gespräch
zwischen zwei Menschen die sich auf ihre Art und Weise ganz nahestehen. Diese Momente
kombinieren den Zauber der literarischen Vorlage mit den realen Bedürfnissen der
Menschen und das Publikum honoriert diese mit großem Applaus. Regisseur Müllers
Verständnis für das Werk Karl Mays zeigt sich auch in anderen Dingen. So wird aus der
Figur des Vater Hillmann kein Priester sondern er bleibt was er schon bei Karl ist: ein
einfacher, deutschstämmiger Siedler, ein Dorfältester. Dementsprechend wird sein Name
auch „Hillmann“ und nicht anglisierte „Hillmän“ ausgesprochen. Auch bei dem Gesang setzt
Müller auf Authentizität. So müssen die Komparsen das „Ave Maria“ live in der Kapelle von
Helldorf Settlement singen. Müller will bewusst keinen „perfekten Chorgesang“ sondern alle
Töne, „auch die krummen und schiefen, so wie es sonntags in der Kirche nun mal ist.“ Zu
dieser Konsequenz gehört auch, dass wir Figuren wie den greisen Häuptling Tangua
erleben, der, von Old Shatterhands Schüssen verkrüppelt, vor lauter Freude über die
Gefangennahme des gehassten Feindes, seine Behinderung verdrängt und die Krücken
fallen lässt. Eine Szene mit großer Intensität und absolutem Seltenheitswert. Die Zuschauer
erkennen dies, würdigen es und dürfen dankbar hierfür sein. Wohldosierte Rückblenden auf
längst vergangene Ereignisse im Leben der beiden Blutsbrüder komplettieren das
Geschehen.
Getragen werden diese Momente von einem hervorragenden Ensemble, welches in jeder
Rolle zu überzeugen versteht. Eingerahmt wird deren Spiel von einer perfekt inszenierten
Komparserie die jeden Moment lebendig wirken lässt. Eine Komparserie, der man auch
kleine Sprech-Einsätze zutraut – und nicht auf Einspielung von Aufnahmen zurückgreift. In
kleineren Sprechrollen sind Joey-Madeleine Laub als Elisabeth Rudge und Chiara Ruf als
Kakho-Oto zu sehen. Junge Schauspielerinnen am Beginn ihrer Karriere, die aber zu
überzeugen wissen. Als Santers Handlanger gefallen Lukas Mrowetz und Julian Huitz.
Letzterer konnte auch in den Vorjahren in kleineren Rollen auf sich aufmerksam machen.
Santers Schergen werden angeführt von Hardy Distel. Dieser muss die Herausforderung
einer Doppelrolle meistern, im ersten Akt ist er als Häuptling Ko-Itse zu bewundern.
Spielfreude, Einsatzbereitschaft und ein überzeugendes Äußeres machen seine Auftritte
erinnerungswürdig. Ebenfalls in Doppelrollen ist der erstmals in Burgrieden mitwirkende
Alexander Kreuzer. Als Dorfältester Hillmann darf er sich väterlich fürsorglich und als Kiowa
Sus-Homascha stolz und würdevoll präsentieren. Ein überaus gelungenes Debüt für den
Münchner Darsteller. Auch Ferdinand Ascher, im vergangenen Jahr noch eindrucksvoller
Old Surehand, darf sich in den zwei gegensätzlichen Rollen des Samuel Haller und als
Häuptlingssohn Pida präsentieren. Dabei kann er in beiden Fällen mit großer Spielfreude
und seinem Talent als Reiter begeistern. Der heimliche Star des Vorjahres, Pit Anders, setzt
seine Akzente insbesondere in kleinen aber nachdrücklichen Szenen des hasserfüllten,
greisen Häuptling Tangua. Fluchend, schimpfend und verbittert hinterlässt er auch in diesem
Jahr einen bleibenden Eindruck beim Publikum. Seine Beteiligung im ersten Akt des Stückes
als Leiter der Eisenbahnstation Echo Canyon und besorgter Vater ist zwar weniger
eindringlich aber nicht minder überzeugend gespielt. Ein absoluter Vollprofi dem man als
Zuschauer gerne zusieht. Dies gilt ebenso für Norbert Sluzalek, der als Santer ein sehr
facettenreiches Spiel auf die Bühne bringt. Er spielt den Santer durchtrieben und stimmlich
wie charakterlich immer seinem gegenüber angepasst. Regisseur Müller hat es sich nicht
nehmen lassen, in seiner Paraderolle als Sam Hawkens zu brillieren. Zwar taucht der
kauzige Westman im Roman gar nicht auf, aber angesichts der Bedeutung die dieser im
Leben des Old Shatterhand hat, nimmt man das Hineinschreiben seiner Rolle gerne hin und
wird mit einer wunderbaren Darstellung belohnt. Kommen wir zur titelgebenden Figur
Winnetou. Wie bereits in der Premierensaison 2014 wird dieser von Alexander Baab
verkörpert. Jedoch blieb es bei dieser einen Spielzeit weil der damalige Regisseur Mike
Dietrich der Meinung war, dass Baab die Perücke (!) nicht stehen würde. Was für eine
Fehleinschätzung. Baabs Comeback ist mehr als geglückt. Stolz und Anmut prägen sein
Spiel und damit entwickelt Baab ein besonderes Charisma. Aus unserer Sicht wird er
eindeutig zu einem Publikumsliebling avancieren und damit mit etablierten
Winnetou-Darstellern gleichziehen. Gemeinsam mit Martin Strele als Old Shatterhand ist
somit ein harmonisches und überzeugendes Blutbrüderpaar gebildet worden. Strele
verkörpert erneut den perfekten Old Shatterhand. Laute und leise Töne, alle Nuancen des
Spiels beherrschend, liefert er punktgenau die der Situation angemessene Leistung ab.
Seine Trauer um Winnetou ist ergreifend und nicht wenige Zuschauer haben Tränen in den
Augen. Ist dieser Moment je intensiver ausgespielt worden? Wohl nie zuvor hatte die Figur
des Old Shatterhands in einer Aufführung einen so hohen Textanteil und so viel
Bühnenpräsenz. Strele steht im zweiten Akt durchgängig auf der Bühne und man möchte
keine Minute missen. Der vielleicht beste Shatterhand Darsteller aller Zeiten?
Fazit:
Eine grandiose Inszenierung die nur bei Kleinigkeiten die Frage von Optimierung aufwirft.
Hätte der „Baum des Todes“ nicht größer ausfallen sollen als der gezeigte unscheinbare
dünne Stamm? Fehlt der Inszenierung der ein oder andere Zweikampf, in denen sich
Blutsbrüder beweisen können? Braucht die Geschichte die erfundene Figur der Elisabeth
Rudge? Gehört nicht auch das christliche Bekenntnis Winnetous zu einer romangetreuen
Inszenierung? Angesichts der mit großem Respekt vor dem Werk des sächsischen Autoren
in jeder Hinsicht gelungenen Inszenierung, alles verschmerzbare Beobachtungen. Jedem,
der Karl May auf der Bühne erleben will, muss hier das Herz aufgehen, wenn er diese
einzigartige Adaption erleben darf. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass in Burgrieden der
qualitativ hochwertigste Karl May gespielt wird. Wer hier tatsächlich etwas negatives finden
will, wird überall das Haar in der Suppe suchen wollen. Karl May steht für etwas, Karl May ist
bekannt, ein fester Begriff, eine bekannte Marke. Es wird Zeit, dass man sich in Burgrieden
dazu entscheidet, genau das verstärkt nach außen zu tragen. Weg mit der Anonymität der
Festspiele Burgrieden, her mit den Karl-May-Festspielen Burgrieden.